Major Tom

Irgendwie ist es plötzlich halb zehn Uhr abends, ich bin schon seit einigen Minuten wieder in Manhattan, streife immer noch umher, im Theaterviertel diesmal. Ruhelos bin ich, nach Hause will ich noch nicht, selbst wenn (oder gerade weil?) da, in Harlem, dieser Tage ein verknallter Amerikaner auf mich wartet (eine der Geschichten, die ich dann doch nicht im Blog ausbreite…).

IMG_4131Also streunere ich von Straße zu Straße, schaue im „Ruby’s“ vorbei, auf einen Schnack mit Tracy, dem bärtigen Urgestein von einem Bar-Aufpasser, der immer wieder ein „pssst“ in den Hinterhof bellt – je lauter die Gäste, desto höher das Risiko, dass sie den Außenbereich wegen verärgerter Anwohner schließen müssen. Und das wäre ja schade. Ich komme ins Gespräch mit zwei netten zugezogenen Neu-New-Yorkern, zwei Burschen aus Rest-USA, lasse mich auf ein Bier einladen – alles unter Tracys wachsamen Augen, er passt eben auf seine Gäste auf, vor allem, wenn es sich um alleinfeiernde Damen handelt -, und muss dann plötzlich los.

Tom wartet doch gleich um die Ecke auf mich.

Nicht weit vom Ruby’s, im Broadhurst Theatre in der 44th Street, hat „Lucky Guy“ gleich Vorstellungsende, und ich will doch mal sehen, ob… Tom…

Mit mir stehen schon so etwa zehn andere Leute da, lauernd und voller Vorfreude. Eine schmale Absperrung wurde bereits errichtet, an die sich fünf der Wartenden drängen (erste Reihe, erste Reihe!), der Rest, also auch ich, stellt sich dahinter an. Das wird nichts, denke ich noch so.

Immer mehr Menschen gesellen sich dazu. Voll wirds, laut wirds. Und irgendwann, ich traue meinem Glück kaum, wuchten die Security Guys ein weiteres Gitter auf den Bürgersteig, verbreitern die Absperrung damit nochmals; plötzlich haben acht, neun Leute nebeneinander Platz, auch in der ersten Reihe – und ich bin eine von ihnen.

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Und nun heißt es: warten. Ein weiterer, plötzlicher Menschenansturm – aha, die Vorstellung ist ganz offensichtlich vorbei.

Und dann werden die Sicherheitsleute nervös. Geben sich untereinander Zeichen – und uns Anweisungen: Er kommt gleich raus. Bitte nur gucken, keine eigenen Stifte hinhalten, er hat eigene dabei, und bitte – nicht – anfassen!

Ach, schade aber auch.

Erst kommt die Vorhut. Schauspieler, die man vielleicht kennen könnte, deren Gesichter mir aber nichts sagen…

Und dann kommt er. Und die Menge kreischt. „Hierher, Tom, hierher!“, rufen sie allerorten. Ich bin zu aufgeregt, um einen Ton rauszukriegen, nestele an meiner Kamera, versuche, irgendwie noch mein Notizbuch zu halten – und ihm unter die Nase, als er endlich vor mir steht. Tom Hanks.

Oh mann.

Er kritzelt was in mein Büchlein, ich sage: Thank you so much! Er lächelt mich an. Und verschwindet in einer schwarzen Limosine.

Lucky Guy? Ich sage: Lucky Girl!

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From Russia with love

32 Grad. Im Schatten. Wetter Online kennt keine Gnade.

Also nix wie raus aus der Stadt, denk ich mir. Wie wäre es mit einem Kurztrip nach Russland, so zum Abkühlen? Ich setze mich in die Subway und fahre an den Ort, den New Yorker fast liebevoll Little Odessa nennen: Brighton Beach – eine kleine russische Enklave auf der Halbinsel Coney Island (auf der ich ja kürzlich erst mit Sunny war). Klar locken mich der Strand und die frische Brise, aber ich möchte auch sehen, ob hier, wo seit den 1930er Jahren Emigranten (erst aus Deutschland, später vor allem Russland) ihr Zuhause gefunden haben, noch Spuren Osteuropas zu finden sind.

Ach, was soll ich Euch sagen: Es gibt sie noch, allüberall.

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In einer kleinen russischen Bäckerei kaufe ich mir einen Knish mit Kartoffelfüllung, einen starken Kaffee, lasse mir von dem netten Verkäufer ein paar Brocken Russisch beibringen (balschoje sspassiba, vielen Dank, paka, tschüss) – und suche den Weg zum Strand.

So, jetzt, spätes Frühstück. Prijatnawa apitita.

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Danach geht der Spaziergang weiter. Gut vier Kilometer lang streckt sich von hier aus der gesamte Boardwalk, diese wunderbare holzplanierte, von Bänken und Laternen flankierte Flaniermeile direkt am Strand. Bis hinaus zum Coney-Island-Vergnügungspark führt der Weg, und wenn ich die Hand schützend zwischen meine Augen und die Sonne halte, meine ich schon, ganz an seinem Ende das Riesenrad auszumachen.

Doch zunächst – der Brighton Boardwalk:IMG_4025

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Wir hätten hier links vom Laufsteg: Sand und Meer und Beachlife.

Und rechts:

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Sportliche Jungs

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…stinknormalen Alltag…

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…soziales Leben…

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…und Bauten in fragwürdiger Ästhetik.

Zweifellos großartig ist das hier:

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Tatjana, ein ur-russisches Restaurant mit hübschem Außenbereich. Der Blick übers Wodka(oder was auch immer)-Glas? Ungefähr so:

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Auf’m Tisch? Ungefähr das:

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Borschtsch! Schön russisch, schön fruchtig, echt gut. Aus den Lautsprechern läuft Sarah Connors „From Sarah with love“ – ich bin in eine Nuller-Jahre-Zeitmaschine geraten.

Und die anderen Gäste so? Ein bisschen russische Seele, ein klein bisschen Dubioso, ein bisschen Igor trifft auf Wladimir trifft auf Anton – und alle plaudern. Oder machen Geschäfte. Man weiß es ja nie so genau.

Und als wäre das nicht schon Traumwelt genug, gerate ich unversehens, als ich drinnen im „Tatiana“ doch nur die Toilette suche, in diese Szenerie hier:

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Das „Tatiana“ ist nicht nur ein Restaurant, sondern auch ein Nachtclub. Freitags, Samstag und Sonntag Nacht gibt es hier etwas, was sie „Die Show“ nennen: Rund ein Dutzend Tänzer performen dann eine halbe Stunde lang vor den dinierenden Gästen, sogar eine kleine Feuershoweinlage gibt es.

Ich sag nur: genug Stanley Kubrick für heute. Raus an die frische Luft.

Ich laufe fast bis zum Ende des Boardwalk. Rüber nach Coney Island, von einer Pelmeni- in eine Zuckerwattenwelt. Nochmal vorbei am Riesenrad und vorbei am Nathans, vorbei am gerade neu aufgebauten pittoreksten Karussell und vorbei an spielenden Kindern.

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IMG_4069Auf dem Rückweg nach Brighton Beach dann noch diese Eindrücke:IMG_4100

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Auf dem Rückweg zur Subway komme ich nochmal in der kleinen Bäckerei vorbei, erlaube mir noch ein Knish. Und, wie hat es Ihnen in Brighton Beach gefallen?, fragt mich der Verkäufer. Ich strahle ihn an: „Tschjudjessna!“

Sonne über Harlem

Manhattanhenge nennt man das, wenn die Sonne in New York  in einem so speziellen Winkel untergeht, dass die Strahlen die Straßenzüge wunderbar erhellen. Zweimal im Jahr passiert dieses kleine Wunder – und ist so berühmt, dass es sogar im Veranstaltungskalender des Time Out Magazine erwähnt wird. (Die Hintergründe dieses Phänomens hat Angela Duffy zusammengetragen: http://www.policymic.com/articles/48385/manhattanhenge-2013-the-twice-a-year-occurrence-every-new-yorker-has-to-see)

Ich muss gestehen: Ich verpasse dieses Event in diesen Tagen zuverlässig. Entweder bin ich zu spät zurück in der Stadt – oder gerade nicht in der richtigen Straße , oder es ist zu bewölkt oder whatever.

Dafür hab ich heute Abend das hier. Die Sonne über West Harlem. Auch schön, oder?

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Der ganze Park ist eine Bühne

So isses manchmal im Leben: Medvedyenko liebt Masha. Masha steht auf Kostya. Kostya ist verliebt in Nina. Und die… Ach die. Zum Verrücktwerden ist es. Oder zum Stehenbleiben, hinsetzen, zuschauen.

So wie heute Abend im nördlichen Central Park.

Das New York Classical Theatre, eine unabhängige, non-profit Theaterorganisation, führt Tschechows „Die Möwe“ auf – open-air, auf blanker Wiese, und bei freiem Eintritt. Der Park ist die einzige Kulisse, the sky is the limit.

Ein wunderbares Konzept: Spaziergänger bleiben stehen, bestaunen die Leute in historischen Kostümen, begreifen, dass es sich hier um ein Theaterstück handelt, setzen sich hin und bleiben. Andere, wie ich auch, sind extra hergekommen, weil sie vor einigen Tagen schon per Flyer auf den Vorstellungstermin aufmerksam gemacht wurden. Und einige (ganz besonders gut Organisierte) haben sich sogar Picknickdecken, Essen und Getränke mitgebracht.

Es wird ein wundervoller lauschiger Sommerabend. Mehrmals wechseln die Schauspieler den Spielort und wir natürlich mit ihnen: ziehen von einer Wiese zur nächsten, von einem Baum zum anderen, sogar einmal um den ganzen Weiher, den sogenannten „Pool“, herum. Und ja: mitsamt Picknickdecken, Weinflaschen und Erdnussflips. Als endlich die Schlussszene gespielt wird, dämmert es bereits, wir hören die ersten Grillen zirpen, und unser Applaus wirkt merkwürdig laut und fremd vor der Naturkulisse.

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Wie ich jetzt von hier aus nach Hause komme? Auf alle Fälle ein bisschen verzaubert.

 

Das Ensemble des New York Classical Theatre spielt schon seit knapp zehn Jahren auf öffentlichen Plätzen der Stadt, meist im Central Park oder im Prospect Park (Brooklyn), aber auch mal auf Governor’s Island und sogar auf einer Fähre. Das Theater finanziert sich allein über Spenden. Aktuelle Termine auf newyorkclassical.org

Franzen – Gefunden!

Und bevor hier jemand denkt, ich stalke…

Nein!

Nicht so richtig, jedenfalls.

Also: höchstens ein ganz klein bisschen.

Die Sache ist die: Ich horche immer auf, wenn jemand darüber berichtet, wie er schreibt. Also nicht die Sache mit den Adjektiven, den Nomen, dem Stil und den Stilblüten, sondern: Wie sitzt er? Sitzt er überhaupt? Oder formuliert er im Stehen, an einem Pult womöglich? Im Laufen? Auf dem Klo? (Was eine neue Steh- und Sitzfrage aufwürfe, aber lassen wir das.) Hat er einen Lieblingskuli, Lieblingspapier? Was hilft einem Autor dabei, seine Sätze zu finden? Oder seine Geschichten? Dopt er sich mit Kaffee, Schwarztee, Klosterfrau Melissengeist? Schreibt er diszipliniert acht Stunden täglich – oder an einem Tag fünf Minuten, an einem anderen vierundzwanzig Stunden?

Irgendwie faszinieren mich die Fragen – und ich bin dabei, alles, was Autoren je dazu verraten haben, zu sammeln. Vielleicht mach ich da was draus, irgendwann mal.

Und natürlich habe ich aufgehorcht, als Jonathan Franzen, der US-amerikanische Autor, der für sein grandioses Buch „Die Korrekturen“ mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, in einer Arte-Doku seinen Laptop in die Kamera gehalten hat. Ein altes Dell-Modell. Nicht sehr glamourös, eher, naja, praktisch. Um nicht zu sagen: oll. Aber: das Internetplug-x-y-wie-auch-immer-das-heißt lässt sich ausbauen. Und das ist Franzen wichtig. Internet lenke nur ab, sagt er. Aha. Herr Franzen stöpselt sich also komplett ab von der World Wide Welt, während er an einem neuen Roman doktert.

In dieser Doku verrät Franzen noch etwas anderes: er nimmt das Filmteam mit in die Straße, eine New Yorker Straße, in der er seine Schreibstube unterhält. Ich werde mich jetzt hüten, die Straßennummer hier nochmals wiederzugeben, aber, um es mit Franzens Worten zu sagen: sie liegt in einem eher uncoolen Viertel. Und ich stolpere fast drüber.

Ich habe in der Gegend heute etwas zu erledigen, was Gesundheitliches,  nicht weiter wichtig. Und denke mir, mensch, guckste doch mal. Ja, hier könnte es sein, das ist schon mal die Straße. Hier könnte er irgendwo sein Kabüffchen haben (oder auch am anderen Ende der Stadt, in der Nähe des anderen, quasi gegenüberliegenden Flusses). Jeden Morgen könnte er diesen Weg entlang gehen, in Gedanken vielleicht schon bei seinen Romanfiguren, einem Handlungsstrang.

Dann sehe ich eine Reinigung. Und erinnere mich, dass das Filmteam Franzen auch dabei begleitet hat, als er eine Ladung Hemden abholte. Ich gehe hinein, winde mich erst, frage aber dann, ob ein Mister Franzen zu den Kunden zählt. Und ob kürzlich mal ein TV-Team aus Germany da war. Macht man ja nicht, sowas. Eigentlich. Und als Ladeninhaber verrät man so etwas natürlich auch nicht. Tja, letzterer hält sich an die Moral und schüttelt den Kopf: TV-Team? Franzen? I dont know…

Ich laufe weiter, studiere im Vorbeigehen ein paar Klingelschilder.

Und dann.

Stehe ich davor. Ha.

J. Franzen.

Gefunden. Zufallstreffer.

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Ich gucke die Tür an, trete ein paar Schritte zurück auf die Straße, schaue zum (Mehrparteien-)Haus hoch. Da irgendwo hämmert er vielleicht gerade in die Tasten, vorsorglich abgetrennt vom Internet und vom Rest der Welt. Und in einem sauberen Hemd, vermutlich.

Ich weiß nicht so recht, was das soll, aber ich finde es großartig. Mache ein paar Fotos, freu mich wie Bolle. Und gut is.

Ob ich geklingelt habe? Ich bitte Euch! Und Herrn Franzen bei der Arbeit stören? Wenn sein nächster Roman auch nur 15 Minuten später rauskommt als geplant (und ich bete, dass er einen nächsten  in Arbeit hat, ich brauche Nachschlag), dann soll bitte sein neues W-Lan-Handy daran schuld sein. Aber NICHT ICH.

Mr. Apollo

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Der Junge, der für James Brown die Einkäufe erledigte, hält mir strahlend die Hand entgegen. „Welcome! What is your name, sister? Where are from?“ Erwachsen ist Billy Mitchell jetzt, bald schon alt — alt geworden in und mit einem Theater, das die ganze Welt kennt.

IMG_3901 - KopieWir stehen im Apollo Theatre an der 125igsten Straße, der geschäftigsten Straße in Harlem, und ich kann dem kleinen Mann im schicken, braunen Anzug ansehen, dass er sich in diesem Gebäude, in dieser mit rosarotem Samt verkleideten Eingangshalle, zuhause fühlt.

Ich habe mich eingeschmuggelt in seine Tour, in der Erwachsene eigentlich nichts zu suchen haben: ein Education-Programm, bei dem Billy gut 30 Schulkindern die Geschichte und die Bedeutung des Theaters erläutert. Neben mir hat Billy noch vier andere Erwachsene zugelassen: Touristen aus Texas und aus Dublin.

Ganz gesittet, im Gänsemarsch und in Zweierreihen, laufen wir gemeinsam in den großen Theatersaal, die Kinder und Billy vorneweg, die Texaner, die Iren und ich hinterdrein. Ich warte, bis sich alle Kinder einen Platz gesucht haben und will mich dann in die erste Reihe setzen – werde aber von Billy höflich, aber sehr bestimmt weggescheucht. Er sagt etwas über die verstorbenen Stars, die hier alle mal aufgetreten seien, und deren Geister – der Legende nach – nun in der ersten Reihe säßen. Vielleicht habe ich ihn aber auch falsch verstanden. Denn eigentlich klingt Mr. Mitchell, den sie alle Mr. Apollo nennen, sehr vernünftig. Um nicht zu sagen: ehrgeizig. Um nicht zu sagen: ur-amerikanisch. So wie seine Lebensgeschichte, die eng mit dem Apollo verknüpft ist.

Billy war ein JungIMG_3805 - Kopiee aus der South Bronx, seine Eltern arm, und er wurde rausgeschickt, um weiter südlich, in Harlem, ein bisschen „Geld zu machen“. In jener Zeit, in den Sechzigern, lebten hier noch keine Schwarzen, erklärt er den Kindern, „sondern vor allem Juden und Iren, die einen auf der West Side, die anderen auf der East Side“. Er  habe damals gerade Pause gemacht von der anstrengenden Jobsuche und an einer Häuserwand in der 125th Street gelehnt, als ihn ein Herr ansprach. Ob er sich ein paar Scheine verdienen wolle. Und statt „die Beine in die Hände zu nehmen und zu rennen, wie Ihr das tun solltet, wenn Euch ein Mann so anspricht“, wie er die Schulkinder ermahnt (und vielleicht auch uns Erwachsene), hörte er sich das Angebot an. Erledigungen sollte er machen, für die Künstler, die in dem Haus, an dem er gerade so lässig lehnte, arbeiteten. Mr. Shipman hieß dieser Mann – und er war der Leiter des Apollo Theaters.

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Das Theater war zu jener Zeit, 1965, bereits legendär. Josephine Baker war hier schon aufgetreten, ebenso Sammy Davis, Jr., und Miles Davis. Bei der „Apollo Amateur Night“, einer Talentshow, die im Radio übertragen wurde,  bekamen unbekannte Künstler ihre Chance – und wurden nicht selten zu Stars: Ella Fitzgerald etwa gehörte zu den ersten Gewinnern des wöchentlichen Wettbewerbs, da war sie gerade einmal 15 Jahre alt.

Billy Mitchell begann also, hier zu arbeiten. Holte Kaffee für die Temptations und die Zeitung für James Brown, putzte Schuhe – und brachte an guten Tagen Trinkgelder von 30, manchmal auch 35 Dollar nach Hause. Er begegnete den Jackson Five, da war Michael gerade neun Jahre alt. Und Stevie Wonder lernte er als Teenager kennen.

Vor allem aber James Brown spielte eine große Rolle in seinem Leben: „Der einzige Weg, aus einem Elendsleben heraus zu kommen“, schärfte der Musiker Billy damals ein, „ist über eine gute Bildung, denn nur damit bekommt man einen guten Job.“ Er riet ihm, sich im Unterricht immer zu melden, wenn er etwas nicht versteht. „Bitte Deinen Lehrer, etwas zu erklären, zur Not auch dreimal, viermal. Die anderen Kinder mögen dann vielleicht lachen, aber es geht hier um Dich und Dein Wissen.“

Und so hob Billy ein ums andere Mal die Hand, „schnell und früh genug, bevor es mir peinlich werden konnte“, schaffte den High-School-Abschluss (gefeiert wurde übrigens im Apollo) – und den Sprung auf die Brown-Universität. Er blieb dem Apollo als Angestellter treu, entwickelte die Touristen- und Schülertouren, arbeitet auch heute noch als Repräsentant des Theaters.

Es sind natürlich diese Geschichten, die Mitchell den Kindern im Publikum erzählt, es ist die erzieherische Wirkung, die bei diesem Vortrag zählt. Macht was aus Euch, habt keine Angst, „dream big“. Er bittet seine jungen Zuhörer auf die Bühne, erlaubt ihnen, etwas aufzuführen, zu tanzen, zu singen. Ich erwäge kurz, mich auch dazu anzumelden, singe im Geiste schon „New York State of Mind“ auf der Apollo-Bühne, denke mir sogar flugs eine Variation aus (Harlem State of Mind, jaja, ich kann erfinderisch sein), aber da stehen die Vorführungen schon fest, mehr Zeit hat Herr Mitchell nicht – und mehr Mumm wiederum ich nicht. Also höre ich mir die Kiddies an. Michael Jackson singen sie, und Whitney Houston, die Klassiker, auch mal ein bisschen Rihanna. Schöne Stimmen sind darunter, auch einige, naja, ausbaufähige…aber ihnen allen ist gemein: Unbekümmertheit. Vielleicht auch Mut. Sie haben sich von Billys Rede anstecken lassen, träumen groß.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

IMG_3844 - KopieSpäter führt uns Billy noch hinter die Kulissen, zeigt uns die Apollo-Autogrammwand, an der auch die Obamas ihre Unterschriften hinterlassen haben, und die Umkleideräume, die sehr einfach, IMG_3858aber gerade deshalb so beeindruckend wirken. Und dann wird es tumultig, die Kinder fragen Billy aus, Billy aber muss mit den Betreuern das Mittagessen organisieren, ein Durcheinander ist das plötzlich, und keiner kümmert sich um die Texaner, die Iren oder um mich.

IMG_3864 - KopieIch stehe auf der Mitte der Bühne des Apollo Theaters, rubbele traditionsgemäß einmal am sogenannten Tree of Hope, einem alten Baumstammrest, der seit jeher allen Apollo-Künstlern Glück bringen soll, und fange an zu summen. Erst leise, dann lauter, dann kommen die Worte. „Some folks like to get away“…Zögern… „take a holiday“ …etwas lauter… „from the neighborhood.“ Weiter, weiter: „Hop a flight to Miami Beach or to Hollywood. But I’m taking a Greyhound on the Hudson River Line…“ Und schließlich: „I’m in a Harlem state of mind.“ Der Texaner neben mir applaudiert – „Du hättest vorhin bei der Performance-Show auftreten sollen!“

Tja. Dream big.

Manche fangen eben etwas später damit an.

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Es ist Monas letzter Tag in New York. Und wir lassen heute die Finger von noch unentdeckten Museen oder alternativen Theatern oder Upper-West-Side-Cafes, von Orten abseits der beaten paths. Wir laufen die ausgetretenen Pfade, entscheiden ganz bewusst, uns ganz den New Yorker Stadtbildern hinzugeben, den typischen, altbekannten. Denn sie sind ja gerade so bekannt, weil sie so großartig sind.

Wir nehmen alles, was kommt. Und das ist so viel. Wir ertrinken in Impressionen.

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„Tomorrroooww“

Kommt ja auch nicht oft vor: Dass man einen Theaterzuschauerraum betritt – und einem erst mal gehörig schwindlig wird. Im Palace Theatre am Broadway kann das aber leicht passieren.

Mona und ich haben Plätze weit hinten erwischt, was in diesem hundert Jahre alten Gebäude soviel heißt wie: weit oben, quasi unter der Decke, unterm Dachgestühl. Wir staunen nicht schlecht, wie tief es bergab geht, als wir uns unseren Weg zu unserer Reihe bahnen. Vorsichtig setzen wir einen Fuß vor den anderen, halten uns an den Lehnen fest, bis wir uns endlich in unsere Sitze plumpsen lassen können.

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Es geht bergab. Hat da unten vielleicht jemand ’ne Bühne gesehen?

Das wäre geschafft. „In Deutschland wäre so eine Steigung gar nicht erlaubt“, flüstert Mona mir zu.

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Und wofür die Berg(ab)steigerei? Für ein kleines rothaariges Mädchen. Oder, wie es überall in Manhattan derzeit plakatiert steht, für „Amerikas beliebtesten Rotschopf“: Annie.

IMG_4134Ein Musical über ein Waisenmädchen, das mit Witz und Charme das Herz eines kauzigen Millionärs erobert – ein Klassiker auf amerikanischen Bühnen. Da die letzten Szenen des Stücks an Weihnachten spielen (so richtig schön „kitsch as kitsch can“), heben Theatermacher „Annie“ normalerweise gern im Winter auf die Bühne. Gut, müssen wir nun durch – Weihnachtsbaumleuchten im Mai.

Kaum sind die ersten Noten zu hören, weiß ich auch schon, dass ich das Stück schon mal gesehen habe, damals im semi-professionellen Performing Arts Centre in Darmstadt. Und dass ich das eindringliche  Titellied und seine diversen Variationen („Tomooooroooow, so ya gotta hang on ‚til tomorrooooow…“) beim zehnten oder elften Anspielen dann bald sehr sehr nervig fand.

Die Geschichte aber ist und bleibt süß, und auch das Weihnachtsgeklimper am Ende tragen wir mit Fassung. Mona ist sogar ganz von den Socken. Annie sei eines der schönsten New-York-Erlebnisse gewesen, wird sie später sagen.

Als der Vorhang fällt, wollen wir noch nicht so recht gehen. Stehlen uns ein paar Reihen nach vorn (seufz, nach unten, schwindelerregendes Gefälle, Ihr wisst schon…), beäugen das Theater von allen Seiten. Schön ist es. Und eine wahnsinnige Geschichte hat es auch: Schon 1913 wurde es eröffnet, hat die Große Depression und den teilweisen Untergang des Theaterwesens überlebt (damals, als Radio und TV aufkamen), hat die Vaudevilles groß gemacht – und nach einer Zeit als Kinoherberge wieder den Weg zurück in die Show-Welt gefunden.

Und wer hier schon alles aufgetreten ist: Bing Crosby, Caruso, Mae West, Liza Minelli, Fanny Brice, Fred Astaire… Das Musical „Schöne und das Biest“ wurde hier uraufgeführt, ebenso „Sweet Charity“. Und Citizen Kane, der legendäre Kinofilm, hatte in diesem Haus seine Weltpremiere.

Wir sind so angetan von dem Bau, dass wir gar nicht merken, dass wir irgendwann ganz alleine sind. Das Haus ist leer, schon gruselt uns. Durchaus zu Recht: Der Legende nach geistert hier ein Gespenst durch die Hallen. Louis Borsalino, ein Akrobat, der in den Fünfzigern im Theater auftrat, hier – so hält sich das Gerücht – bei einem Auftritt tödlich verunglückt sein soll, schwingt sich heute angeblich als Geist von Dachsparren zu Dachsparren. Aber nur, wenn das Haus leer ist.

Wir machen, dass wir rauskommen.

Die Haupttüren sind bereits geschlossen; ein etwas erschrockener Bühnenmitarbeiter, der uns verirrte Wesen Gott sei Dank entdeckt, scheucht uns zum Bühnenausgang – wo uns gierige Autogrammjäger bereits erwarten. Äh, nee, nee. Wir sind falsche Beute, sorry.

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Den Namen sollte man sich schon mal merken: Jaidyn Young. Spielte als Standby heute für uns die „Annie“ und will hoch hinaus im Showgeschäft. Die Sache mit der PR macht sie schon mal ganz gut.

Aber die meisten Herumstehenden sind eh beschäftigt: „Annie“, alias Jaidyn Young, ist kurz vor uns rausgekommen, und lässt sich bereitwillig fotografieren. Auch uns winkt sie heran. „Do you want a picture of me?“ Aber klar, soviel Geschäftssinn muss belohnt werden. Wie alt sie sei, will ich wissen („12“), und ob es nicht anstrengend sei, hier am Broadway aufzutreten („yes, but I love it“), und was sie später einmal werden wolle („a famous actress“, hm, war ja klar, in diesem Moment sagt keiner: Bürofachangestellte). Könnte was werden mit dem Berühmtsein, Eigen-PR kann sie schon mal ganz gut. Und: Das „Tomorrow-Theme“ hat sie so schön gesungen, dass es mir diesmal gar nicht auf die Nerven ging. Noch nicht einmal bei der elften Wiederholung.

Ich mache mir ein Bild

IMG_3567 - KopieIch kann sie immer nur bestaunen: die Menschen, die sich auf die Straße, den Platz, in den Park stellen, etwas vorführen (Musik, Äffchen, sich selbst) – und sich dabei von all diesen Passanten anstarren lassen. Von Touristen, die sich gegenseitig in die Seite stoßen: „guck mal, da drüben“, aber auch von New Yorkern, die sich schon lange nicht mehr wundern.

Was mich so fremdlampenfiebern lässt: Im Theater oder Konzertsaal sind die Zuschauer ja aus eigenem Antrieb da, haben ganz bewusst – und im besten Falle – bezahlt, um den Künstler zu sehen, sich klar für den Konsum des Stückes oder der Show entschieden. Was muss aber erst dazugehören, sich von Vorbeilaufenden anstarren zu lassen (neben dem Wunsch, ein paar Dollars zu verdienen natürlich)? Mut? Ein Übermaß an Überwindung? ‚Ne exhibitionistische Ader?

Ich krieg gerade ne Ahnung davon.

Und das passiert so (denn nein, ich halte natürlich meine Stimmbänder im Zaum. Und nein, ich tanze auch gewiss nichts vor, ich weiß mich zu beherrschen): Ich lasse mich malen. Wollte ich schon immer mal. Und während ich hier in der „Mall“, der schönen Allee im Central Park, sitze und der Maler, der sich als Chong oder Jong (oder doch John?) vorstellt, meine Gesichtszüge mustert und im Geiste wohl schon skizziert, habe ich genug Zeit, zu philosophieren, warum ich das mache.

Weil: Ich weiß ja eigentlich, wie ich aussehe. Es gibt Spiegel, es gibt Fotos, es gibt Leute, die mir sagen: Nette Augen haste! Oder auch: Na, brauchst auch langsam ne Faltencreme, hm? Oder auch einfach: Du hast da nen Rest Spinat zwischen den Zähnen.

Jedenfalls: ein weiteres Bildnis von mir – eigentlich nicht nötig.

Und doch hocke ich hier hinter Chongs Leinwand und versuche 20 – gefühlte 200 – Minuten lang den Kopf gerade zu halten. (Chong: „Please, madam, your head.“ — „Head, madam, please!“ — „Madam!“)

Schließlich kommt mir ein Gedanke: Es geht darum, zu sehen, was der andere in mir sieht. Kamera und Spiegel bilden ab, was sie abbilden müssen. Mal schmeichlerisch, mal knallhart ehrlich – je nach Lichteinfall eben (und vorangegangenem Kneipenbesuch). Was aber sieht ein Maler in meinem Gesicht? Und vor allem: wie gibt er das mit seinem Pinsel wieder?

Ich will also aus Chongs Augen auf mich selbst sehen. Waghalsig, ich gebe es zu. Damit liegt viel Verantwortung auf dem netten Herrn. Der aber bleibt entspannt. Er starte immer mit den Augen des Kunden, sagt er. Danach ginge alles ganz leicht. Mit meinen hat er etwas mehr Arbeit („sie sind so unterschiedlich groß“; das gehört nun zu den Dingen, die man nicht unbedingt hören will…), aber irgendwann lächelt er, und macht, wie er mir netterweise mitteilt, mit den Brauen weiter.

Es fällt schwer, ruhig zu sitzen, während Detail für Detail des eigenen Gesichts betrachtet und abgezeichnet wird. Nackig fühlt man sich, und sehr sehr beobachtet.

Leider nicht nur von Chong.

Denn als Maler-Modell wird man ruck-zuck selbst zur Attraktion. Wie sie mich alle anschauen, die vorbeilaufenden Central-Park-Sonntags-Spaziergänger. Gucken auf mich, gucken auf die Leinwand, wieder auf mich, gleichen ab. Der eine hält den Daumen hoch, grinst. Der nächste nickt anerkennend, doch, doch, Ähnlichkeit vorhanden. Einer sagt: „Er malt, wie Du aussehen willst, nicht wie Du wirklich aussiehst.“ Was?! „Nee, so hat der das nicht gesagt“, beschwichtigt mich Mona. Ich aber bin verunsichert. Was entsteht denn da einen Meter von mir entfernt?

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Ja, guck Du nur…

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…und auch Ihr, hinter Euren Sonnenbrillen…

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…auch die Kiddies scheint’s zu interessieren…

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…und ehrlich: Jetzt ist man gut.

Ein Spießrutensitzen ist das.

Und so bin ich sehr erleichtert, als Chang endlich verkündet: Madam, fertig. Mona darf zuerst gucken, ist quasi Vortesterin, Vorseherin. Murmelt: „Hm.“ Schließlich traue auch ich mich und schaue Mona über die Schulter, werfe einen scheuen Blick auf das, was ich sein soll. Und. Nee. Das Mädchen auf dem Bild kenne ich nicht. Mag es nicht mal besonders. Vor allem die Augen sind gar nicht meins. Oder besser: nicht meine. Beim näheren Hingucken erkenne ich dann so etwas, was mein Kinn sein könnte, auch die Nase kommt meiner ähnlich. Ja, vielleicht eine Cousine von mir, eine entfernte.

Ich bedanke mich bei Chang, sage nichts, was ihn verletzen könnte, bezahle (10 Dollar, dafür nimmt man auch fremde Augen in Kauf), und rolle das Bild des fremden Mädchens auf. Was ich jetzt damit mache? Keine Ahnung.

Fest steht: Wann immer ich künftig an einem Straßenmaler vorbeikomme, werde ich mich hüten, hüten!, hinzusehen, Leinwand und Modell anzugaffen. Ich lasse ihn seine Arbeit machen, lasse das Modell das tun, was es tun will, frei nach Loriot: einfach nur hier sitzen.

Von meinem Abbild übrigens mache ich noch rasch ein Foto, schicke es per MMS an meine Eltern. „Ah“, simmst mein Vater prompt zurück, „hübsche Frau. Wer ist das denn? Eine New Yorker Schauspielerin?“ Seufz.

Stimmen aus dem Off-off

Blood Brothers„I wish I was our Sammy
Our Sammy’s nearly ten.
He’s got two worms and a catapult
An‘ he’s built an underground den.“

Den Absatz, und ein paar mehr, lernte ich auswendig, da war ich ungefähr sechzehn. Unser Englischlehrer Herr Oeben-Heinrichs stand auf zeitgenössische, angelsächsische Theaterstücke und fand, wir könnten doch mal was ausprobieren. Was spielen. Einfach so. Schleppte ne Videokamera an, 20 Skriptexemplare von „Blood Brothers“ von Willy Russell – und verteilte munter jede Schulstunde die Rollen neu.

Irgendwann war ich dran. Spielte den kleinen Mickey, Sammys Bruder, sprach meinen Text in die Kamera – und mein Englischlehrer murmelte entgeistert etwas von Schauspieltalent. Setzte mir damit, ohne es zu wissen und ohne es zu wollen, einen gehörigen Floh ins Ohr, der aber Gott sei Dank gerade noch rechtzeitig, also knapp vor der Berufswahl, wieder aufhörte zu hüpfen und zu fiepen (der Floh, nicht Herr Oeben-Heinrichs).

Jahre später und Meilen von dem alten Schulzimmer entfernt, also genau heute und in New York, stolpere ich wieder über das Stück. „Blood Brothers“. Diese Geschichte über Weiterlesen

Unter amerikanischen Fittichen

IMG_3494Als ich das erste – und bislang letzte – Mal hier war, im Metropolitan Museum of Art, bekam ich Schnappatmung. Ich verirrte mich, taumelte von einem Raum in den nächsten, stolperte vorbei an Skulpturen, Gemälden, Teppichen und Vasen, ohne Orientierung, ohne große Lust oder Interesse. Dafür mit dem unsinnigen Gefühl: Hier, aus diesem riesigen Gebäude, komme ich nicht mehr heil raus.

Das war natürlich Quatsch; irgendwann fand ich den Ausgang und hastete – leicht panisch – die Treppen hinunter zur Fifth Avenue, genoss die frische Luft und den freien Blick auf den New Yorker Himmel.

Und nun: da nochmal hinein? Heute? In dieses Labyrinth aus Gängen, aus Geschichte und Kunst und all diesen vielen vielen Besuchern?

Mona und ich wagen es. Sind ja älter jetzt und kunstinteressierter und vielleicht auch mit besserem Orientierungssinn ausgestattet als ich als Teenager damals. Wir wappnen uns aber vorher gehörig. Gut zehn Minuten sitzen wir auf einer Bank vor ein paar Sarkophagen am Rande des nachgebauten Tempels von Dendur und wälzen den Lageplan des Hauses, markieren jede für sich die Räume und Ausstellungen, die wir sehen wollen, auch jene, die uns so halb interessieren („falls wir dann noch Zeit haben…“ – Haha. Hahaha.), und ignorieren stur die, die uns so gar nicht jucken. Suchen nach Übereinstimmungen, verabreden uns. „In zwei Stunden, genau hier, siehst Du? Dieses Kreuz, zwischen der Klee-Ausstellung und dem Civil-War-Trakt…“ „Hast Du Dein Handy an?“ „Haben wir hier überhaupt Netz?“ Ja. Also gut. Bis nachher also, hab viel Spaß. Tschüss.

Ich verlaufe mich schon wieder. Trotz Plan, trotz umsichtigen Wandelns, trotz vorsichtigen Den-einen-Fuß-vor-den anderen-Setzens. Aber hier MUSS doch… Wer hat bloß diese Zwischengeschosse erfunden? Und warum sind die nicht ordentlich ausgeschildert? Mann! Dieses Museum und ich, wir werden wohl keine Freunde.

Schließlich schlage ich mich irgendwie zum amerikanischen Flügel durch. Und entscheide, hier zu bleiben. Das ist doch ohnehin, was mich interessiert. Ich brauche keine Pharaonen, keine Ming-Vasen, und auch keine Klee-Bilder, die auch mal im Frankfurter Städel auftauchen könnten.

Der amerikanische Flügel nimmt mich unter seine Fittiche. Und ich entspanne mich.

Wandere durch die so genannten Period Rooms – schöne, nachgestaltete Wohn- und Gesellschaftsräume, die verschiedenen Epochen der US-Zeitgeschichte nachempfunden sind:

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Etwas später entdecke ich einige Gemälde, die Szenen eines vergangenen New Yorks abbilden…

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George Bellows, Swans in Central Park (1906)

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John Sloan, The Lafayette (1927)

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Childe Hassam, Spring Morning in the City (1890)

…aber auch Werke, in denen Künstler geschichtliche Ereignisse oder Entwicklungen ihres Landes verarbeiten:

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Charles Marion Russell, In the Enemy’s Country (ca. 1921)

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Frederic Remington, On the Southern Plains (1907)

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Thomas Hovenden, The last moments of John Brown (1882-84)

Und ich lerne, quasi im Vorbeigehen, so wunderbare amerikanische Fotografen kennen wie William Eggleston aus Memphis, dessen farbenfrohe „14 Pictures“ das Museum zeigt, und Robert Frank, dessen ausdrucksstarke Schwarz-Weiß-Serie „From the Bus“ hier zu sehen ist.

Und als ich schon glaube, es könnte nicht mehr besser, erhasche ich einen Zipfel, einen kleinen Ausschnitt nur… Ist das? Wirklich? Hier? IMG_3508Ich trete näher an einen Durchgang heran, der zu einem großen Saal führt, arbeite mich vorbei an all den wuselnden Leuten. Habe nur noch Augen für dieses eine Bild, dieses Großgemälde da hinten in der Ferne, und ja. Ja! „Washington Crossing the Delaware“! Das berühmte Werk, das ich schon so oft im Kleinen gesehen und betrachtet habe, in Büchern oder in Washington D.C. oder auf dem Mount Vernon, George Washingtons wunderschönen und friedlichen Landsitz in Virginia. Das Gemälde hängt hier im Met, ist eines der Höhepunkte sogar (und ja, ich gebe es zu, ich war wirklich nicht sonderlich gut vorbereitet auf diesen Museumsbesuch).

Ich trete näher heran – und versinke ganz in der Szenerie. Schaue mir jede Figur genau an, was tut sie gerade, was ist ihre Aufgabe, ihr Gesichtsausdruck, ihre Symbolwirkung? Was hat sich der Maler, ein Deutscher übrigens namens Emanuel Leutze, bei seiner Arbeit Mitte des 19. Jahrhunderts gedacht? Ich weiß nicht viel über dieses Monumentalwerk, spüre aber seine Kraft, seine Energie. George Washington mit seinem unerschütterlichen, fast stieren Blick, wie er hinübersteuert, den berühmten Überraschungsangriff auf die hessischen Truppen (die im Unabhängigkeitskrieg die Briten unterstützen) im Sinn.

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Gott, ist das Bild großartig.

Später, wieder zurück in meiner Harlemer Wohnung, will ich mehr über das Werk wissen und finde diese schönen und interessanten Erläuterungen dazu:

http://loomings-jay.blogspot.de/2010/02/washington-crossing-delaware.html

Reportagemalerei nennt der Blogger und Kunstgeschichtsexperte Jay aus Bremen das, was Leutze hier gemacht hat. Und genau das, dieses Geschichtenerzählen via Pinselstriche – das haut mich wohl so um. Ich bin selbst bei den Truppen in Trenton, wenn ich das Bild betrachte, spüre den kalten Wind, werde fiebrig vor lauter Aufbruchstimmung an diesem frühen Morgen. Ich höre das Holz des Bootes knarzen, rieche das Eis auf dem Delaware-Fluss. Gleich geht es los, gleich werden wir den feindlichen Truppen gegenüberstehen, Soldaten, die noch gar nichts von uns und unserer Ankunft ahnen, die siegessicher sind – und doch bald eines Besseren belehrt werden sollen. Ich bin aufgeregt, hier, auf diesem Fluss, und ich ahne, dass wir gleich, gleich, die größte Wende in der amerikanischen Geschichte einleiten werden, und…

„Und, wie war’s bei Dir so?“, fragt mich Mona, als wir uns später wieder treffen.

Ach joo. Museum halt.

Hart erarbeitete Romantik

Was habe ich mich immer identifiziert mit Celine, der jungen, blonden Französin, die sich in den Amerikaner Jesse verliebt und mit ihm eine ganze Nacht lang durch Wien stromert… (ach, ich erzählte Euch ja bereits davon…): „Before Sunrise“ – der Klassiker der Neunziger Filmjahre. „Before Sunset“ dann, der Nachfolger – erwachsener, abgeklärter, weit weniger romantisch. Aber immer noch schön.

Und nun: „Before Midnight“. „Nine more years on, and they’re still talking“, überschreibt die New York Times ihren Artikel zum US-Filmstart. Und: „Die Leinwandromanze der Generation X ist nun offiziell middle-aged.“

Mona und ich fahren heute extra ins East Village, um den Film in nem Art-House-Kino zu sehen.

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Gealtert sind sie, Celine und Jesse, aber sie sind auch endlich ein Paar geworden. Haben zwei süße Zwillingsmädchen und verbringen ihren Urlaub in einem griechischen Landhaus. Hier werden wir, die Zuschauer, hinzugeschaltet und Zeugen, wie die beiden miteinander umgehen, sprechen, flirten, streiten.

Und das ist kaum auszuhalten. Es geht gut, so lange die beiden Eltern sind, sich als solche um die Kinder kümmern, Einkäufe erledigen, den Kram eben. Auch beim gemeinsamen Abendessen mit Freunden schaut man ihnen gern zu, erlebt das Prickeln zwischen den beiden und freut sich für sie. Aber als die Gespräche beim einsamen Spaziergang der beiden ernster werden, später im Hotelzimmer alte Zweifel und Verwundungen hochkommen, möchte ich mich am liebsten abwenden.

Nichts gegen erwachsene Gespräche, gegen Problemwälzungen, Beziehungsknatsch, Diskussionen zwischen Liebenden. Aber Celines Anfeindungen, ihre spitzen Bemerkungen, ihre übellaunigen, arroganten Blicke, wo kommt das plötzlich alles her? Aus der lieblichen, charmanten Französin von einst ist eine Zicke mit verbitterten Zügen geworden. Und das ertrage ich kaum. Möchte fast hinein springen in die Szenerie und sie schütteln. Sie darauf hinweisen, dass er doch alles tut, um sie glücklich zu machen, er sie doch liebt und, ach. Grausam, wenn die Realität einzieht in das, was man Liebe nennt.

„Sie sind in ihren Vierzigern, sie reden noch miteinander und sie bringen einander noch zum Lachen – das ist doch immerhin etwas“, erklärt Regisseur Richard Linklater gegenüber der New York Times – und es fühlt sich an, als redete er zu mir. „Dass sie noch zusammen sind, ist doch schon ziemlich romantisch. Auch wenn es eine hart erarbeitete Romantik ist.“

Music under New York

Weil ja New-York-Spaziergänge und -Subwayfahrten immer auch Perlenpflückerei sind:…

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…Die Band Karikatura aus Brooklyn, die in Clubs und in Galerien und auf privaten Partys auftritt, schon eine Europe-Tour hinter sich gebracht hat – und ansonsten die New Yorker Subway beschallt. Jazz meets Indie meets Weltmusik – wie das klingt, hört ihr hier:

Und mehr über die Band gibt’s hier: http://karikaturanyc.com/home

Morgan de moi

IMG_3367Noch so eine Erinnerung an meinen Neunziger-Aufenthalt in New York: die Morgan Library. Oder besser: deren Café. Ich weiß noch, wie ich es damals für mich entdeckt hatte, mich hineingesetzt, eine Kleinigkeit gegessen habe – und die Atmosphäre einfach nur zauberhaft fand. Man saß in einem luftigen Atrium, leise Violinenklänge waren zu hören, und ich stöberte versonnen in meinem Reiseführer. Fühlte mich aufgehoben und beschwingt und leicht. So leicht, dass ich gar nicht erst in die Bibliothek, den eigentlichen Kern dieser Location, gehen wollte.

Heute ist es anders. Ich will an diesen Platz zurück, schauen, ob er mich immer noch mit so viel Ruhe und Fluffigkeit erfüllen kann. Und nun auch endlich mal ins Innere des Gebäudes vorstoßen.

Gut, ich werde erst mal enttäuscht: Umgebaut haben sie die Anlage, so richtig ordentlich neu gestaltet und erweitert und aufgeschickt. Gemeinsam mit einer – nach eigener Aussage langjährigen – Angestellten versuche ich zu rekonstruieren, wie es hier vor 15 Jahren aussah, reiße vor meinem geistigen Auge Wände ein und pflanze Bäume um und ordne Treppengänge neu. Aber ich kriege es nicht mehr so richtig zusammen.

Morgan in den Neunzigern

Der Garden Court der Morgan Library in den Neunzigern – vor dem Umbau (abfotografiert von einer alten Postkarte)

Okay, altes Zeugs, Erinnerungen halt. Was gewesen, ist gewesen.

Heute spielt die Musik. Und sie spielt fein:Morgan Library

CellistEin Cellist zaubert versunken einige Melodien, während Mona und ich die Architektur des Gebäudes bestaunen. Heute, zur Friday Night, ist das Haus für zwei Stunden frei zugänglich, die konzertante Untermalung unterstreicht die Besonderheit des Abends.

Die Geschichte der Bibliothek ist die folgende: J. Pierpont Morgan, ein New Yorker Bankier, der von 1837 bis 1913 lebte, war ein großer Sammler von Büchern und Originalmanuskripten. Schriftstücke von Mark Twain, Tagebucheinträge von Henry David Thoreau, Partituren von Mozart, Gemälde von Dürer – er  trug sie zusammen, und sein Sohn machte sie ab 1924 der Öffentlichkeit zugänglich. Das heutige „Morgan Library and Museum“ (New Yorker sagen auch einfach nur: The Morgan) vereint sowohl das ehemalige Privathaus des Finanziers als auch einzelne Ausstellungsräume.

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Morgans Arbeitszimmer, „the Study“

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Die Bibliothek

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Nur eines von Morgans vielen Schätzen: Gutenberg-Bibel von ca. 1455 – der Bankier erstand sie 1896

The Morgan Library & Museum
225 Madison Avenue / 36th Street
www.themorgan.org

Freitags freier Eintritt von 19 bis 21 Uhr (ohne Gewähr, am besten vorher nochmal auf der Website checken)

Im Doppel

Es ist so ne Sache, wenn da plötzlich jemand mitturnt in der eigenen Heimat-auf-Zeit. Der seine eigenen Vorstellungen hat, Ideen und Sichtweisen. Dann verändert sich was, wird das Stadtempfinden ein anderes.

IMG_3728Es fängt damit an, dass ich die Stadt, meine Straßen plötzlich mit den Augen meines Besuches sehe. Den Straßenlärm stärker wahrnehme, den Schmutz. Mich entschuldige, zumindest entschuldigend dreinschaue, wenn die Polizeisirenen wütend an uns vorbeisurren – und ich weiß, dass das auch nachts nicht aufhört, und sie deswegen vermutlich nicht gut schlafen kann. Oder dass mein Lieblingscafé kein Klo hat (zu klein!), auch das ist mir irgendwie unangenehm, oder dass die Fahrt nach downtown so unendlich lang scheint. Sich dafür in irgendeiner Form schuldig zu fühlen, ist grober Quatsch. Na klar. Aber der Eindruck, verantwortlich zu sein für etwaige Unannehmlichkeiten, der bleibt. Und dann krieg ich plötzlich auch noch etwas mütterlich-reiseführerisches, bin versucht, den ganzen Tag sorgfältig zu planen, schon im Voraus zu wissen, wo wir hingehen, welchen Bus wir nehmen sollten. Und bin dann überrascht bis neidisch, wenn ich feststelle, dass sie das Bussystem viel schneller begreift als ich vor einigen Wochen. Ich fremdele mit der Stadt, meiner Freundin und mit mir.

Aber dann, irgendwann, sitzen wir im Außenbereichs eines Pubs, unter einer Plane; nach all der Wärme und Schwüle der letzten Stunden geht auf New York gerade ein Sommergewitter runter, das sich gewaschen hat. Und Mona strahlt mich über ihren Guinness hinweg an, ich strahle zurück. Und ich weiß, dass ich in diesem Moment mit niemandem lieber hier sitzen würde als mit ihr. Noch nicht einmal alleine mit mir selbst.

Antrag stattgegeben

Antrag

„Willst Du meine Frau werden?“, muss der Mann die Dame hier in der Gondel gerade gefragt haben. Wir bekommen eben noch mit, wie sie strahlt, ihn umarmt, küsst – und der Gondoliere rote Blüten über die beiden streut. Und dann auch noch extra vorbereiteten Sekt hervorzaubert. Ein bisschen arg inszeniert, so ein Heiratsantrag hier auf dem „Lake“ im Central Park. Aber irgendwie auch niedlich.

Ach, und: Sie hat ja gesagt. Vermuten wir mal.

Tauchgang

So, ich verabschiede mich jetzt mal für ein paar Tage. Meine liebe Freundin Mona ist jetzt hier, und wir Mädels streifen gemeinsam durch Manhattan. Und Ihr könnt Euch ja vorstellen, wie das so abläuft bei zwei Frauen: Da wird gegiggelt und geguckt und gesabbelt und geshoppt. Haben uns so viel zu erzählen – und dabei so viel zu sehen! Ich melde mich aber bald wieder, großes Manahatta-Ehrenwort!

Rock me, baby

Das ist doch…

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Genau. Ein Surfer. In einer U-Bahn.

Es ist Dienstag, der 21. Mai – und für heute ist Hitze angesagt. Der Sommer steckt schon mal den Kopf durch die Tür, ich winke ihm zu – und mache, dass ich fortkomme. Fort ans Meer.

Strandtasche gepackt, Sonnenbrille geschnappt, und ab nach Rockaway Beach.

Das ist eines dieser coolen Dinge an New York: Du steigst im urbansten Harlem in die U-Bahn, zwischenzeitlich steigt der eine oder andere Surfer dazu, und wenn Du Deinen Waggon wieder verlässt, riechst Du Meeresluft; Du läufst drei Schritte – und kannst Deine Füße in Meeressand stecken. Ich könnte es in diesem Blog schon mal erwähnt haben, aber hier gern nochmal: Ich liebe, liebe, liebe New York.

Ich schweife ab. Rockaway also. In amerikanischen Surferkreisen ist der Strand so beliebt wie sonst vielleicht nur Malibu. Viel Wind, hohe Wellen – ein Eldorado für Meeresreiter.

Hinzukommen ist derzeit jedoch gar nicht so einfach: Üblicherweise spuckt einen der A-Train nach einstündiger Fahrt einfach an einer der vielen Stationen auf der langgestreckten Landzunge aus. Von da aus läuft man dann ein paar Schritte südlich und ist an der Strandpromenade. Normalerweise. Seit November 2012 ist aber hier gar nichts mehr normal. Hurrikan Sandy fegte über Rockaway – wie über viele andere Küstenstreifen – hinweg wie ein Ungeheuer. Hinterließ abgerissene Dächer und Häuser, verwüstete Strände, eine arg beschädigte Holzpromenade – und: zerstörte Bahnschienen.

Am John F. Kennedy Flughafen endet der A-Train deshalb in diesen Tagen, wir müssen umsteigen in einen Bus, der uns dann gemächlich bis zur nächstmöglichen Bahnstation bringt. Ob es nette Geschäfte, vielleicht kleine Cafés gibt, wenn ich bei der Station „Beach 67“ (was für ein Name für einen U-Bahn-Stopp!) aussteige, frage ich Kim, mit der ich in der Bahn ins Gespräch komme. Aber ja, es gibt einen ganzen Shoppingkomplex, sagt sie, steigt mit mir aus und führt mich hin.

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Sehr lieb gemeint. Aber statt niedlichen Lädchen mit Sonnenbrillen, Creme und Muschelketten gibt es hier in sterilem Setting: eine Chase Bank, einen Laden für Surferausstattung, eine Eiscreme-Kette – und ein Subways. Romantisch-authentische Einkaufswelten sehen anders aus. Aber ich lasse mir meine Enttäuschung nicht anmerken, verabschiede mich von Kim und stapfe ins Subways. Mittagessen muss ja sein.

Auf dem Weg zum Strandzugang dann diese Truman-Show-Erscheinungen hier:

Als ob hier gleich ein Scheinwerfer runterfällt…

Der Strand dazu aber: überwältigend. Nach all der Hektik in den Straßen, dem Lärm, den vielen Menschen, tut es so gut, im Sand zu liegen. Jetzt erst mal: Lunchtime.

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Nicht zu übersehen jedoch sind die Schäden, die Sandy angerichtet hat, und die emsige Arbeiter nun versuchen, schnell zu reparieren:

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Die Bauarbeiter versuchen alles, um den Boardwalk (wie auch die ramponierten Bahnschienen, die Straßen und Häuser) bis zum 27. Mai wieder flott zu kriegen – dann nämlich ist Memorial Day, einer der wichtigsten Feiertage der Amerikaner. An diesem Tag starten sie gemeinhin in den Sommer, möglichst draußen, möglichst am Strand. Noch ist es fraglich, ob die Bauarbeiten bis dahin vollendet sein werden, schreibt die New York Times. Aber wenn nicht, so zitiert die Zeitung einen New Yorker, sei es doch auch nicht so schlimm. Denn „the ocean“, so sagt er, „the ocean is still the same“. Guter Mann.

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Die Zeichen stehen auf Neubeginn:

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Bäumchen für die Neubepflanzung

Bäumchen für die Neubepflanzung

Ich bekomme Hunger. Bin immerhin über eine Stunde am Strand entlanggelaufen. Also rein zu Ciro’s Pizza, direkt an der 116th Street – und erstaunt die allerbeste, saftigste, aromatischste Pizza genossen. Die Pizzabäcker, italienische Eheleute, kommen aus Sizilien – und man meint, sie hätten die sizilianische Sonne direkt in ihre Pizza gepackt.

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Leckerer geht’s kaum. Selbst mein geliebtes „Ray’s“ kann da – sorry, Jungs – nicht mithalten.

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Pizza-Magier Ciro vor seiner Zauberhütte…

Ciro’s Pizza
171 Beach 116th St
Rockaway Park, Queens, New York

In Ciro’s Laden lerne ich einen älteren Herrn kennen, einen Anwalt, der hier auf der Halbinsel wohnt und arbeitet. Er rät mir, mir – neben dem Strand und offenen Meer – auch die andere Seite der Landzunge anzuschauen. Die Bucht dort habe nämlich auch Flair.

Ich laufe also hinüber – die Insel ist so schmal, dass ich in wenigen Minuten da bin -, und gönne mir einen Absacker im „Wharf – Bar and Grill“. Der Ausblick – wunderbar:

There is a Ro in Spanish Harlem (2/2)

Die Gentrifizierung beginnt an der Ecke St. Nicholas Ave/127th Street und trägt blaue Sonnenschirmchen. Das „Maison Harlem“, ein Restaurant mit französischem Anstrich, lockt mit einer schmalen, erhöhten Holzterrasse, sauber abgesteckt vom Bürgersteig mit einem schwarzen Holzzäunchen, und Blumenkästen, in denen duftender Lavendel sprießt.

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Ich setze mich mitten rein in dieses Zentrum, in den Atomkern der Stadtveränderung. Erschrecke kurz über die Preise für die Speisen (Croque Monsieur und French Onion Soup und Tagliatelle Carbonara), die jene auf dem Upper Broadway um das Doppelte übersteigen, bestelle dann aber immerhin einen Salat und ein Wasser, das – ganz elegant – in einer Karaffe serviert wird. Ja, es ist schick hier, der Service des Kellners (Schauspieler John, der aus Chicago hergezogen ist, um hier am Broadway sein Glück zu versuchen) exzellent, der Salat sehr sehr lecker.

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Aber das Restaurant ist, ein halbes Jahr nach seiner Eröffnung, noch immer ein Fremdkörper. Hier laufen sie vorbei, die vielen schwarzen Menschen, gucken ungläubig die kleine Terrasse an, beäugen die Schirmchen. „Was ist das nur, dass die neuen Bewohner hier in Harlem, die Yuppies, immer draußen sitzen und essen wollen? Wir sitzen fürs Essen nie draußen“, sagte ein Harlem-Eingesessener in Eric Schachters „Harlem.USA“.

Hier prallen Kulturen aufeinander. Noch fahren viele alte und staubige Hondas vor der kleinen Terrasse entlang, doch hin und wieder mischen sich schwarze, klotzige SUVs darunter. Die Veränderung – sie ist zu sehen, zu spüren.

Als ich weiterlaufe, sehe ich mehr davon.

Ein Streifzug in Bildern.

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IMG_3583Ein Cupcake-Laden in Harlem – die teiggewordene Gentrifizierung. Und wo Cupcakes sind,…

…sind junge Frauen mit lässigem Oberkopfdutt nicht weit. IMG_3578

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Development Outreach und Harlem Lofts und…? War da noch wer?

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Das Gebäude des ehemaligen Hotel Theresa, das 1913 Eröffnung feierte. Hier logierten Louis Armstrong und Ray Charles und Little Richard, aber auch Fidel Castro. Malcolm X hielt hier Treffen ab. Heute ist es ein Bürogebäude – und mutet seltsam altehrwürdig an zwischen all den Payless-, H&M- und Old Navy-Geschäften.

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Nein, eine politische Aussage wolle sie mit ihren „Harlem: Stay black“-Shirts nicht machen, sagt Designerin Vanda, die ihre Kreationen auf der 125sten Straße verkauft. Aber wenn ein solcher Spruch dazu beiträgt, das Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerung zu stärken, findet sie das auch gut.

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Türme von Harlem. Die Türen vom südlicheren Manhattan – hier nur eine Hintergrunderscheinung.

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Genug der Erkundungen. Ich nehme mir jetzt eine Auszeit am Meer. Am „Harlem Meer“ – dem schön angelegten See im nördlichen Central Park:

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Die vermutlich schönste Hochschule der Welt: das City College in Harlem.

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There is a Ro in Spanish Harlem… (1/2)

Harlem. Ich habe eine andere, eine neue Beziehung zu dieser Ecke New Yorks, diesem Flecken, der doch so weit oben im Norden liegt, dass ich manchmal fluche, wenn ich abends downtown in die U-Bahn steige.

Aber Harlem, wer hätte es gedacht?, ist mir Heimat geworden.

Die wenigen Straßen, die ich bislang kenne, von meiner Wohnung hoch zum Chipped Cup Café oder runter zum Restaurant Trufa oder auch rüber zur übernächsten, aber praktischeren U-Bahn-Station, vorbei an der Kirche, in der ich zuletzt den wunderbar anrührenden Gottesdienst erlebt habe – die paar Straßen jedenfalls mitsamt ihren Läden und Menschen habe ich lieb gewonnen, vertraut sind sie mir und familiär.

Und auch: die Frau, bei der ich aller zwei Tage meine Mangos kaufe. Der Inhaber vom Waschsalon, der so viel weiß über das Wäschewaschen wie zehn 50er-Jahre-Hausfrauen zusammen, und der die gleiche olle Automarke fährt wie ich. Der Verkäufer im kleinen Deli nebenan, der mir immer schon die New York Times reicht, wenn ich nur durch die Tür komme. Der hübsche Kerl aus der Dominikanischen Republik, der erst seit ein paar Wochen hier ist und im Barber Shop arbeitet – und mir immer etwas verlegen zuwinkt, wenn ich am Laden vorbeilaufe. Er will mit mir etwas trinken gehen, sagte er neulich. Ich sagte: vielleicht morgen. Aber er lachte nur.

Ja, diese Straßen, was habe ich sie gern. Vielleicht auch deshalb, weil sie nicht das gehalten haben, was mir andere prophezeit haben: Uuh, du könntest ausgeraubt werden. Uh, du könntest überfallen werden.

Selten habe ich mich so sicher gefühlt wie in dieser Zeit und in dieser Ecke der Welt. Selbst abends, nachts, allein auf dem Weg von der U-Bahn. Es sind immer Leute auf der Straße, normale Leute, sogar Kinder. Manchmal wummern spanische Rhythmen aus den Häusern, sitzen Jugendliche in diesen lauen Nächten auf der Straße, Liebespaare halten sich umschlungen, Mütter spielen mir ihren Kleinen Fangen. Um zehn Uhr abends. Ein bisschen San Juan in Manhattan.

Was ich aber noch immer nicht weiß: Wie tickt Harlem? Was passiert hier gerade? Was bewegt die Menschen? Glück für mich, dass sich diese Fragen schon jemand vor mir gestellt – und sich hat beantworten lassen: Eric Schachter, ein Filmemacher, der seit Jahren in Harlem lebt, hat vor zwei Jahren zahlreiche Menschen in Harlem getroffen, sie befragt – und ein beeindruckendes, sinnliches Kaleidoskop geschaffen: „Harlem.USA„. Ein Film, durch den mein Blick auf Harlem noch ein anderer, ein zärtlicherer geworden ist.

Denn Harlem ist gefährdet. Das berichten jedenfalls die Menschen in dem Film, Menschen, die auf der Verliererseite der sogenannten Gentrifizierung stehen. Die rausgedrängt werden aus ihrem Lebensraum, weil Besserverdienende aus Downtown Manhattan die hübschen Brownstones, die urigen Straßenzüge entdecken – und entscheiden: Hey, ziehen wir doch hierher. Stecken etwas Geld in ein Apartment/Stockwerk/ganzes Haus, frischen es auf, wohnen darin – und in zehn Jahren ist es dreimal so viel wert. Das machen die Leute hier. Das machen sie in Brooklyn. Das machen sie überall. Das Ding ist nur: Hier zerstören sie damit eine ganze Kultur.

Das ist die Botschaft in Schachters Dokumentation.

Die Aussagen differieren durchaus: Während eine Frau Optionen abwägt: „Ich frage mich schon, wo wir noch hinsollen, wenn wir hier rausgedrängt werden. Eigentlich können wir nur weiterziehen, hoch in die Bronx“, sagt eine andere trotzig und bestimmt: „Ich geh hier nicht weg. Die können machen, was sie wollen, ich bleibe. Das ist doch unsere Heimat.“

Die Tragödie in Schachters Film entwickelt sich nur langsam: Behutsam bildet er die Menschen und ihre Erzählungen ab, streut wunderschöne, traumgleiche Bilder ein, dreht viel in der Nacht, im Dunkeln, lässt die Gesichter der Menschen mal funkeln, mal wie eine Silhouette erscheinen. Die Tränen aber, die vielen von ihnen beim Sprechen kommen, fängt er stets ein.

Fast habe ich den Eindruck, dass den Protagonisten erst durch Schachters Fragen, durch ihr Erzählen und Zusammentragen von Anekdoten richtig klar wird, was hier eigentlich in ihrem Viertel passiert. Dass sie im Begriff sind, etwas zu verlieren: ihre Heimat.“Das ist ja nicht nur ein Viertel, das ist ja auch eine Community“, sagt einer.

Und die Weißen, die jetzt hier leben? „Sie mögen uns nicht“, sagt eine Frau. „Sie grüßen nicht, sie machen einen Bogen um uns. Ich glaube sogar, sie haben Angst vor uns.“

Erstmals erweitere ich nun heute meinen Radius, dringe weiter ins östlichere und südlichere Harlem vor. Und habe dabei Erics Film im Hinterkopf.

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There is a Ro in Spanish Harlem, Teil 2 –>

All you need on a Sunday…

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Ich liebe die Sonntage im Trufa, dem tollsten Café in Hamilton Heights, wenn nicht in ganz Harlem. Das Essen (sonntags gibts fantastisches Rührei!) ist göttlich, die Atmosphäre wunderbar entspannend, die Kellnerin hat immer ein Lächeln auf den Lippen – und schenkt pausenlos Kaffee nach. Dazu die Sunday Ausgabe der New York Times. Könnte das Leben nicht immer so sein?

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3431 Broadway (zwischen 139th St und 140th St)
Harlem, New York

Omis New York

IMG_3480Ich kann es fast körperlich fühlen, wie sie es gehasst haben muss. Jeden Morgen raus, die Glastür dieses Apartmenthauses aufstoßen, die drei Treppen aus dem Souterrain hinauf laufen auf die Straße. Dann den langen Weg hinunter zur Subway, Linie 7, hier reingequetscht zwischen all die Leute, die sich dicht drängten, um sich in dem engen Waggon hinüberschaukeln zu lassen nach Manhattan, zum Arbeiten.

Meine Oma war gerade mal Mitte zwanzig, als sie für ein Jahr in New York lebte. Es waren die frühen Sechziger, und die lebenslustige junge Frau war ihrem Mann gefolgt, einem deutschen Architekten, der bei einer New Yorker Baufirma angestellt war. Hatte ihn geheiratet, ihm versprochen, mit ihm nach Amerika zu gehen – in guten wie in schlechten Zeiten. Wir kennen das ja.

Und nun war sie eben hier. In New York. Und in für sie definitiv einer dieser schlechteren Zeiten.

Können wir uns ja heute gar nicht mehr vorstellen, wir, die wir diese Stadt so anziehend und prickelnd und überwältigend finden (nun, nicht alle von uns, aber doch ein großer Teil der Urbanisten). Aber damals, in den Sechzigern, da sehnte sich dieses junge Ehepaar eben nicht nach Thrill und Spannung, sondern nach ruhigem Beisammensein, nach einem Heim, einem komfortablen Rückzugsort. Peter, Omis Mann, meinte, dies hier gefunden zu haben: in Flushing, Queens.

Manhattan – zu laut, zu gefährlich, zu monströs für seine Frau, so entschied er. In Flushing dagegen gab es noch ordentliche Wohngebiete, in hübschen Backsteinhäusern war man gefeit vor den Umtrieben der Großstadt, hier war es ruhig und lauschig, konnte das Familienleben beginnen.

Doch Omi fuhr dennoch täglich rüber auf die Inselmetropole. Sie wollte arbeiten, vor allem, um dabei ordentlich Englisch zu lernen, und in Manhattan hatte sie eine Stelle in einer Krankenhausapotheke gefunden. Und so verließ sie jeden Morgen gegen acht das Haus an der Barcley Avenue, schick gekleidet, auf stöckeligen Schuhen, bog nach links, runter zur Browne Street, zur Union Street, vorbei an der John-Browne-Grundschule und an der St.-Michaels-Kirche, und schließlich bis zur Main Street, wo die Subway-Linie 7 hält. Oder besser: endet. Von Manhattan aus kommt nach dieser Station nichts mehr, wer weiter will mit dem öffentlichen Nahverkehr, raus nach Long Island zum Beispiel, muss auf den Zug umsteigen. Flushing ist äußerste New Yorker Peripherie, daran hat sich bis heute kaum etwas geändert.

Nun bin ich meiner Oma ja oft nah, auch über weiteste Entfernungen, in Gedanken, in Erinnerungen. Aber selten war ich ihr so nah wie heute.

Ich sitze in der Linie 7 und fahre bis zur Endstation, Main Street. Sobald ich die Treppe aus dem Untergrund hinaufsteige, versuche ich, die Gegend mit ihren Augen zu sehen. Versuche, die ganzen chinesischen Schriftzeichen zu ignorieren (was nicht einfach ist, sie kreischen einem förmlich entgegen) und durch die vielen asiatischen Menschen hindurch zu blicken. Die wohnten damals alle noch nicht hier, die gehören nicht in das Bild, das ich versuche, herauf zu beschwören.

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Ich laufe vorsichtig die Route ab, von der ich glaube, dass sie mich zu Omis ehemaligen Wohnhaus führt. Dokumentiere meinen Weg, mache Fotos. Versuche, zu erkennen, ob dieses oder jenes Haus damals schon dort gestanden haben könnte. Und ob die Gegend, so wie sie heute ist, Omi erschrecken, gar abschrecken würde.

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Immerhin: An einer Ecke, nahe der Barcley Avenue, bieten sie groß und plakativ Luxusapartments an, es ist also immer noch (oder wird wieder?) eine gute Gegend hier. Wäre nach Omis Geschmack. Ich beobachte eine junge Asiatin, die einen kleinen Maltipu spazieren führt, einen dieser Malteser-Pudel-Mischlingshunde, wie es sie jetzt immer öfter gibt und wie auch meine Tante Anne, Omis Schwiegertochter, einen besitzt. Auch dieser Anblick hätte Hundenärrin Omi gefallen. Sie hätte die Frau in ein Gespräch verwickelt, das kleine Tier gestreichelt, „na, mein Baby, na, du Süßer“, ja, das wäre eine Begegnung nach ihrem Gusto gewesen. Und dann: der riesige, unüberschaubare asiatische Gemüsemarkt an der Ecke. Reife Mangos, junge Kokosnüsse, frischester Sellerie. Omis – heutiges – Rohköstlerherz wäre in die Luft gehüpft.

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Omis Herz von damals jedoch wog schwer. Dieses New York. Hach. So gar nicht ihr Ding. Viel zu laut und dreckig und zu eng bebaut.

Ich werde immer aufgeregter, je näher ich ihrer Straße komme. Wenn ich es mir recht überlege, stalke ich gerade meine eigene Großmutter. Gut, haben wir das auch mal gehabt.

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Als ich um die Ecke in die Barclay Avenue einbiege, schlägt mein Herz schneller. Hier ist es gleich. Google Maps lügt nicht. Genau, da, die Hausnummer habe ich gesucht! Das ist es! Das ist die ehemalige Bleibe meiner Oma! Und plötzlich kommen mir die Tränen.

Ach, Omi.

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Ich stehe vor diesem kalten Backsteingebäude, und sehe sie, die damals jünger war, als ich es heute bin, sie, die ihrem frisch angetrauten Ehemann, den sie doch eigentlich kaum kennt, dem sie doch vor wenigen Monaten erst über eine Heiratsanzeige begegnet ist, hierher gefolgt ist, in blindem Vertrauen, er würde schon gut für sie sorgen. Wie mutig war das, wie pragmatisch, vieleicht auch: wie schicksalsergeben. Ob sie es manchmal, in diesen trüben, schwierigen New Yorker Tagen, als sie keinen Menschen kannte, die Sprache nicht beherrschte, herumschlingerte in einer fremden Welt, ob sie es damals also bereut hat? Fernweh hatte nach West-Berlin oder gar nach ihrem Geburtsort in Sachsen? In Gedanken schon dreimal wieder die Koffer gepackt hat, um doch schnell, ganz schnell wieder zurück zu fliegen, weg aus dieser kalten, lauten Stadt, aus diesem angsteinflößenden Amerika, diesem fremden Leben?

Gehalten haben wird sie sicher die Liebe zu ihrem Mann, denn die war da und stark und intensiv, so kurz die beiden sich auch erst kannten. Und hier hatte sie natürlich ein Auskommen, lebte in finanzieller Sicherheit. Deutschland? Nein, Deutschland war keine Option mehr.

Sie sollte nur ein Jahr hier aushalten müssen, dann schickte Peters Arbeitgeber die beiden weiter. Es folgten Stationen in Montana, in Texas und in Georgia. Es dauerte noch eine kleine Weile, aber bald begann Omi, Amerika zu lieben, sich hier heimisch zu fühlen.

Nur in dieses New York, in dieses Monstrum, in diese stadtgewordene Kälte – hat meine Oma nie wieder einen Fuß gesetzt.

Hello, Louis!

Und plötzlich sehe ich ihn: Er sitzt genau hier, vor meiner Nase, auf dem weißen Ledersofa, in dem engen Wohnzimmer im ersten Stock dieses Puppenstubenhauses in Queens. Louis Armstrong schaut durchs Fenster hinaus auf die Straße mit ihren winzigen Holzhäusern, sieht Nachbarskinder herumtollen, und er sagt, mit seiner mächtigen, breiten und kehligen Louisiana-Stimme, in der stets ein Lachen mitschwingt: „Das ist es, woran ich denke, wenn ich ‚What a wonderful world‘ singe: diese Gegend – und diese spielenden Kinder.“ Weiterlesen

Bowery Electric

Huh, das war viel Kunstgenuss für einen noch so jungen Abend. Jetzt will mein Geist tanzen – und wer weiß, vielleicht fallen meine Füße mit ein. Es ist bereits neun und ich setze mich in den M5-er Bus, Ziel: Downtown, genauer: East Village.

Irgendwo hatte ich gelesen (und im Zweifel wie immer im Time Out Magazine), dass heute ein paar interessante Bands im Bowery Electric spielen, einer Bar mit im Keller liegendem Musik-Nachtclub direkt an der, haha, Bowery. Ich rate und frage mich ein bisschen durch nach der genauen Adresse, gönne mir noch, da ich schon mal an einer der Filialen vorbeilaufe, eine Slice von Ray’s Pizza (THE BEST!), schlendere gemütlich die Straße runter, schaue mir all die Leute an, die draußen sitzen, genieße die laue Frühsommerabendluft – und habe das Pizzastück in just der Sekunde geschafft, als ich am Club ankomme.

Pech: Die fangen hier pünktlich an. Heißt: Die erste der drei Bands ist schon fertig, die zweite schon zur Hälfte durch – ob ich trotzdem reinwolle. Na klar, sag ich.

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Ich erwische gerade noch die letzten Songs der Jeffrey Lewis Band – und bin magnetisiert:

Gut, der Youtube-Beitrag ist von einem zwei Monate früheren Konzert. Aber fand auch in New York statt, mit gleicher Besetzung und gleichem Thrill. Könnt Ihr’s auch fühlen?

Ich hätte mich in den Po beißen können, nicht früher hergekommen zu sein. Was ’ne Schande. Nachher immerhin erwische ich Jeffrey, den Kopf der Band, am Merchandising-Stand, sag ihm, wie schade ich es finde, nicht mehr gehört zu haben. Er erzählt mir, sie kämen vielleicht auch bald nach Deutschland (aaah, Nachtrag: tatsächlich: im August/Sept. touren sie von Hamburg bis Darmstadt – mehr: http://www.thejeffreylewissite.com/Upcoming-Shows.html)

Ich frag Jeffrey auch noch, wie er seinen Musikstil beschreiben würde. Country? Oder Folk? Oder Elektrodingens? Weiß, blöde Feuilletonistenfrage. Man macht halt als Musiker  seinen Stiefel und gut ist. Was soll diese Einkategorisiererei? Aber Jeffrey überlegt ein wenig und sagt dann: „Folk….something.“ Aha. „Wait. Folk for the folks of New York.“ Ah, Zielgruppe im Blick, schon besser. „Oh no, take this: Country-Western, City-Eastern.“ So, was Besseres kriegt Ihr jetzt nicht, sorry. Macht Euch selbst nen Reim drauf. Ich denke mal, er meint sowas wie Country for urban easterncoast-people.

Darauf nen Drink.

Ich schnapp mir ne Flasche irischen Cider an der Bar und sichere mir wieder nen guten Platz vor der Bühne. Die letzte Band, „Crazy & the Brains“ will ich schließlich richtig mitkriegen.

Noch sind sie am Aufbauen. Moment mal. Was wuchten die da bitte auf die Bühne? Das ist doch? Nicht etwa? Ein? Doch. Ein Xylophon. Wann hab ich das zum letzten Mal gesehen? Vierte Klasse? Fünfte?

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Und das Xylophon sollte den Abend retten. Die Musik? Jooo….schnoddrig halt. So US-Rock zum ordentlich poken, recht einfach, aber dadurch dann auch wieder gut. Kein Lied bleibt hängen, eins klingt wie’s andere. Die Töne vom Xylophon aber, dieses pling-pling, dieses stets unerwartete Herzerfreuen gibt den Songs einen drolligen Charme. Ist eh ein Trend, oder? Oldtime-Instrumente wieder einzubinden? Gute Bläsersätze wie bei Cris Cosmo, neulich auch der Posaunist in der Handle-Bar in Greenville, dann der ganze Polka-Trend in Europa. Ha, und LaBrassBanda nicht zu vergessen. Und jetzt noch dieses Pling-Pling in der New Yorker Bowery. Fehlt doch nur noch die Harfe bei AC/DC.

So, und sonst so? Haben die Leute Spaß gehabt wie Bolle. Haben, ich erwähnte es bereits, gepoked wie wild (mal ehrlich: poken? Macht man das noch? Oder etwa auch: schon wieder?) – und überhaupt kamen hier so unterschiedliche Menschen aller Altersgruppen zusammen. Bowery-Hipster mit runder Kassengestellbrille und Pony, Dutt und Vintageklamotten? Ja, vielleicht auch ein paar. Aber da waren noch andere. Zumal alle ethhnischen Gruppen. Hispanics, Schwarze, Leute asiatischer Herkunft. Aber auch die Leute, die augenscheinlich direkt von der Arbeit kamen, noch die Anzughose trugen. Es gab auch die Jungs, die so gern Rocker sein wollten in ihren schwarzen T-Shirts mit angsteinflößenwollendem Aufdruck. Ach, es gab sie alle. Und sie alle haben einander, so scheint es, gemocht. Miteinander getanzt, einander angepoked, angestoßen.

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New York, ein Melting-Pot? Eine Salatschüssel, in die alles zusammengeworfen wird und einmal ordentlich umgerührt? Und irgendwie harmoniert’s? Jaaaa! Ihr könnt glauben, was ihr wollt, aber hier, in der Bowery, gibt es ihn, den Pot.

Und – es kocht ganz schön heiß hierinnen.

Ein Abend bei Herrn Frick

Oho, eine Einladung vom ehrwürdigen Herrn Frick: Ich möchte doch bitte in sein Haus an der Fifth Avenue kommen und für einen Abend sein Gast sein. Es würde gepflegte Unterhaltung geben, stimmungsvolle, klassische Musik, und auch ein Gläschen Wein werde gereicht. Ob ich es wohl einrichten könne?

Aber werter Herr Frick, ich eile doch, ich eile!

Mit mir eilen noch einige andere kulturbeflissene New Yorker in das herrschaftliche Haus direkt am Central Park, aber ich bin frühzeitig da und komme den größten Menschenschlangen zuvor.

Vielleicht sollte ich es mal aufklären: Heute Abend gibt es die Spring Night im berühmten Frick Museum (oder, wie die New Yorker einfach nur sagen: „the Frick“), einen traditionellen Kulturabend, an dem die wunderbare Kunstsammlung des Industriellen Henry Clay Frick jedermann frei zugänglich ist (gut, jedermann, der rechtzeitig kommt).

Das sieht dann so aus: Die alten, schweren Türen öffnen sich, man tritt ein in ein Gewölbe aus längt vergangenen Zeiten, beschreitet einen Marmorboden, wird lächelnd vom Personal empfangen. Hello, how are you today? Vorbei an der Garderobe, vorbei an Vitrinen mit feinstem Porzellan gelangt man in die Halle – und von dort aus in einen großen Patio, „the Garden Court“. Es spielt leise Musik vom IMG_3291 - KopieBand, an der Seite stehen junge Herren im Anzug und schenken aus. Wein. Wasser, aber natürlich: Pellegrino. Man lässt sich hier nicht lumpen, nicht an der Fifth Avenue. Mit meinem Weinglas und einem Becher Knabberei setze ich mich auf ein Bänkchen und beobachte die langsam eintrudelnden Menschen. Und es ist, wie ich es in New York mittlerweile schon oft erlebt habe: eine heterogene Menge. Die älteren Pärchen oder Freundinnengrüppchen, der allein umherwandelnde Kunstgeist mit Hornbrille und Schal, Jugendliche, die sich über Malerei austauschen – bis auf Kleinkinder alles dabei.

Noch bevor ich das erste Gemälde anschauen kann, wird schon ins Musikzimmer gebeten. Jawohl, Livemusik, extra zur Spring Night. Die Sopranistin Margaret Astrup, begleitet vom Pianisten William R. Braun, singt auf einer – für ein ehemaliges Privathaus – erstaunlich großen Bühne Werke von unter anderem Satie, Debussy und Fauré. Ausgesucht hat sie die Stücke in Anlehnung an die drei gerade laufenden Ausstellungen im Frick-Haus: Piero della Francesca, Impressionisten von Degas bis Toulouse-Lautrec sowie Uhren.

Ich lausche ein wenig – und bin dann doch neugierig auf all die Gemälde, die der Stahlmagnat und Kunstliebhaber Frick bis zu seinem Tod 1919 gesammelt hat. Also starte ich meinen Rundgang durchs Gebäude. Schlendere an Renoirs vorbei, an Rembrandts, Monets. Bestaune alte Uhren, Möbelstücke und chinesische Porzellanfiguren aus der Qing-Dynastie. Erkenne die Tänzer von Degas wieder, die auf dessen Gemälde „Die Ballettprobe“ ihre Schritte üben, bewundere die schönen, plustrigen Farben. Verliere mich in dem Vermeer-Bild (das ist der mit dem Perlenohrring) „Mistress and Maid“ und grüße George Washington, der mir auf einem Portrait des Malers Gilbert Stuart entgegenschaut.

Kurz mache ich eine Pause, setze mich wieder in den Garten, wo einige besonders Kreative die vom Museum bereitgestellten Mal-Utensilien nutzen und sich an Zeichnungen versuchen. Die meisten nehmen sich die Skulpturen im Garten vor. Und, soweit ich das beurteilen kann, als ich über ihre Schultern schiele, kriegen sie die ganz gut hin.

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Es sind Stunden der Muße, des Umhertreibenlassens in diesem fremden, wunderschönen alten Haus. Hat er hier gesessen, Herr Frick, hier am Kamin und sich neue Kunstzukäufe überlegt? Oder auch neue Geschäftsstrategien für sein Stahlimperium? Frick ist bereits mit 30 Jahren Millionär geworden, hat erst die Stahlfirma des nicht weniger berühmten New Yorkers Dale Carnegie mit Koks beliefert, um später das Unternehmen gleich selber aufzukaufen. Es sei gesagt, dass Frick als Unternehmer durchaus umstritten war. Berüchtigt vor allem durch sein Verhalten während eines großen Streiks 1892: Nicht nur heuerte er Streikbrecher an, er engagierte auch Bewaffnete der Pinkerton-Detektei, die die Streikbrecher beschützen sollten – notfalls durch Einsatz der Waffen. Und tatsächlich gipfelte der Streik in gewaltsamen Auseinandersetzungen, zehn Menschen starben, sechzig wurden verletzt (Q: Wikipedia).

Nun, von all dem ist hier in diesem Gemäuer nicht viel zu sehen oder zu spüren. Hier schwebt ganz der Geist des Kunstkenners durch die herrschaftlichen Räume. Aber die junge Angestellte der Frick Library, die tagsüber Recherchen betreibt, anderen bei ihren Recherchearbeiten hilft und nun für ein paar Stunden den Spring-Night-Besuchern Rede und Antwort steht, leugnet nicht die heikle Vergangenheit des Hausherrn. „Yes, there where a lot of controversies“, sagt sie mir.

Als ich mich anschicke zu gehen, hält sie mir eine Schachtel mit unzählbaren, klimpernden Ansteckbuttons hin, jeder mit einem anderen Motiv bedruckt – mit Ausschnitten der Bilder der Collection. „Bitte, nehmen Sie einen, als kleine Erinnerung an diesen Abend“, fordert sie mich auf. Was für ein nettes Detail. Ich stöbere, krame, wähle aus, verwerfe, entscheide mich dann für einen Sticker mit dem Mini-Portrait einer der Degas-Tänzerinnen. Das Pudrige, Leichte, das in so einem großen Gegensatz steht zu dem schweren Mobiliar und der noch schwereren Vergangenheit des Herrn Frick. „You made a great choice“, sagt die junge Frau noch. Aber da fallen schon die schweren Türen hinter mir zu.

The Frick Collection
1 East 70th Street (an der Ecke zur Fifth Avenue)
Manhattan, New York
www.frick.org

Die Spring Night gibt es einmal im Jahr. Im Juli findet zudem eine Summer Night statt, mit ähnlichem Konzept: freier Eintritt von 18 bis 21 Uhr (früh kommen!), sorgfältig ausgewähltes Musikprogramm, Vorträge über einzelne Ausstellungen und Kunstgegenstände und die Möglichkeit, im Garden Court selber zu zeichnen. Aktuelle Infos auf der Museumswebsite.

Nagelprobe

Ich bin keine von den Frauen, die sich jeden zweiten Abend hinsetzen, ein Fläschchen ansetzen und sich ordentlich bepinseln.

Die Rede ist von (was habt Ihr denn gedacht?): Nagellack. Besser: dieser Nagellackhysterie, die gerade grassiert. Ich meine – was ist da mit den Frauen los? Ganze Internetforen sind voll von Diskussionen, welcher Lack nun der schickste, der angesagteste, glänzendste ist. Ob azurblau oder graphit oder doch lieber bonbonkoralle. Ob normaler Lack oder doch lieber dieses neue Gel, was dann aber nur wieder zu entfernen geht, indem man sich den halben Nagel rausreißt. Ich weiß ja nicht.

Nun wandere ich aber so unschuldig die 55ste Straße entlang, noch beflügelt vom Ben Stiller-Viewing, beschwingt durch die Sonne und überhaupt dieses ganze Manhattan – da steh ich vor einem Laden. Nails. Hm. Sonst nichts vor heute, oder? Warum nicht? Mal ne nette Außer-Haus-Maniküre? Jeden Tag etwas tun, was man noch nie gemacht hat, ist doch irgendso ein Mantra in Spirituellenkreisen, oder? Also, reingeschlüpft, Preis erfragt (für Manhattan-Verhältnisse ’n Schnäppchen) und hingehockt.

Was ich mir denn so vorstelle, fragt mich Kelly, eine junge Frau, die erst kürzlich aus Korea eingewandert ist (und, das möchte ich wetten, eigentlich einen exotischeren und weitaus schwerer artikulierbaren Namen hat) und in diesem Laden schon zur Vice-Assistentin aufgestiegen ist. Ich finde auch schnell heraus, warum. Sie ist gut. Umsichtig, aufmerksam, höflich, klug. Und wahnsinnig geduldig. Was ich mir also vorstelle? Ach. Erstmal ne gute Pflege, einen neuen Schnitt (oder wie sagt man bei Nägeln?) — und dann. Tja.

Irgendwie ein schönes Rosa? Was Originelleres fällt mir gerade nicht ein.

Kein Problem, lächelt Kelly und fängt an zu feilen.

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Ich schaue mich um, beobachte die Kundin am Nachbartisch, eine unaufgeregte Szenelady, schicke Klamotten. Und türkisfarbene Nägel. Türkis! „Oah, Kelly!“, flüstere ich aufgeregt über den Nageltresen. „Könnte ich auch so ne Farbe haben?“

Aber klar. Wieder dieses Lächeln.

„Weißt Du“, sagt sie langsam zu mir in ihrem gebrochenen Englisch. „Du kannst Dich so oft umentscheiden, wie Du magst. Nur wenn die Farbe auf den Nägeln ist, dann ist es zu spät.“

Na, wenn das nicht philosophisch ist. Lebensweisheit made im Nagelstudio.

Kelly und ich kommen ins Gespräch, und sie sagt mir auf den Kopf zu, dass ich doch sicher nicht aus New York stamme. „Ah, mein Dialekt, der verrät mich immer“, sag ich. „Nein, nein“, entgegnet sie. „Es ist etwas anderes. Du bist so entspannt, hast offensichtlich Zeit.“ Die meisten Kunden rauschen rein, erzählt sie mir, hocken sich gestresst auf den Stuhl, können es nicht erwarten, bis die Farbe trocknet – und hasten rasch wieder raus. „Die nutzen ihre Mittagspause, um sich bei uns ihre Nägel machen zu lassen.“ Aha. Die Manhattanistas. Keine Minute zu verlieren.

Ich aber genieße die Nagelprozedur. Bin erst etwas irritiert, als die Nägel zu eckig ausfallen, weise Kelly darauf hin, woraufhin sie seelenruhig nachbessert. So lange, bis es mir gefällt.

Und nun. Der Lack. Türkis steht schon auf dem Tisch, grinst mich an. Ich aber grinse nicht mehr zurück. Irgendwie doch zu heftig, diese Farbe. Vielleicht doch lieber Rosa, so ein ruhiger Nude-Ton? „Irgendwie wie Natur, nur schöner“, sag ich. Ach, und vielleicht hübsch glänzend?

Drei helle Fläschchen zieht Kelly hervor, probiert alle drei Farben an meinen Nägeln aus, sagt: „Diese hier passt am besten zu Dir.“ Aha, gibt also auch Typberatung bei Fingerspitzen. Aber ich finde, Kelly hat recht. Nicht zu pink, nicht zu beige. I am in Awe, wie die Amis sagen.

Als ich darauf warte, dass der Lack trocknet, schaue ich mich um. Und sehe Bilder an der Wand. Ach, wie süß, haben die Angestellten Fotos ihrer Lieblingsstars angepinnt… So wie ich auch früher, mit Limahl und Prince und Patrick Packard und… Ne. Wart mal. Rihanna – mit Unterschrift! Paul McCartney, mit Widmung! Was??!!

„Die waren alle hier“, erklärt mir Kelly, als sie meinen fragenden Blick sieht. Paul McCartney??? Im Nagelstudio??? „Naja, der Kunde war eher seine damalige Frau, aber ja, er war auch hier…“ Ich bin in einem Celebrity-Laden! Und dabei kommt er so unprätentiös rüber, der Laden, so gar nicht aufgeschickt oder überkandidelt.

Ich schaue mich verstohlen um. Ist heute vielleicht auch jemand da, den man kennen müsste? Könnte da hinten nicht…? Oder dort drüben? „Bruce Willis war erst neulich hier“, unterbricht Kelly meine Observierung. Und auch Gwen Stefani gehört zu den Stammgästen.

Ach, New York. Was lieb ich diese Stadt. Jaja, Celebs sind auch nur Menschen, die sich gebauch-, Entschuldigung, genagelpinselt fühlen wollen. Aber hey, Bruce Willis!!! Hat vielleicht seine feinen Finger ins selbe Wasserbadbecken gehalten wie ich!

IMG_3331 - KopieSo, fertig, sagt Kelly. Oaaah! Wie schön! Ich erkenne meine Nägel gar nicht wieder. Sie sehen so fruchtig, so gesund, so propper aus.

Beglückt stolpere ich aus dem Laden. Wie lang die Nägel jetzt so schön bleiben, habe ich Kelly noch beim Abschied gefragt. „Das kommt ganz allein auf Dich an“, sagt Kelly.

Die Philosophin. Schon wieder.

Bloomie Nails
55th Street (zwischen 5th Avenue und 6th Avenue)
http://www.bloomienails55.com

Und jetzt bitte: Stille(r)!

Auch das ist New York: Man läuft einen Bürgersteig entlang (zugegeben, nicht irgendeinen, sondern den der Fifth Avenue) – und wird unverhofft angeblöfft, man möge doch bitte die Straßenseite wechseln, hier werde jetzt ein Film gedreht.

Ach, und tatsächlich:

Kameras, Scheinwerfer, diese Lichtspiegel, die aussehen wie riesige Alubehälter aus der Küche, überhaupt: ein Teil des Autoverkehrs (und der ist auf der Fifth nun wirklich beachtlich) wird umgeleitet. Ich versuche zu fokussieren und in dem ganzen Gewusel irgendsoetwas auszumachen wie einen Schauspieler. Und – sehe – schließlich – Ben – Stiller!! WTF! Er läuft die Straße neben einer jungen, schlanken Frau entlang, wirkt eher klein und unscheinbar, aber: Er ist es!

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Ich stelle mich ein wenig an den Rand einer Seitenstraße und beobachte die ganze Szenerie: die vielen Passanten, die stehenbleiben, um zu sehen, was los ist, dann erkennen, dass es sich um einen Filmdreh handelt – und natürlich keinen Schritt weitergehen, weil sie sehen wollen, was so abgeht. Die verzweifelten Helfer, die versuchen, den Bürgersteig freizuhalten, die Menschen also davon abzubringen, einfach weiter zu laufen, womöglich mitten in die Filmszenerie. Die aber verstehen das aber nicht, sind doch so viele andere Menschen um Herrn Stiller herum, und mehr noch: die laufen sogar durchs Bild!!

Ha. Nix da. Die letzteren sind alles Komparsen. Kaum ist die Szene gedreht, sind die Menschen ihre paar vorgegebenen Meter gelaufen, versammeln sie sich in derselben Seitenstraße, in der ich jetzt stehe und warten auf erneuten Einsatz. Ist ein bisschen wie bei der Truman-Show. Du denkst, sie sind echte Passanten, aber nee, doch nur Staffage. Hach. Alles meine Kollegen, denke ich so. Als ein Helfer vorbeikommt mit einem großen Tablett an Sandwiches, machen sie sich darüber her (über die Brote, den Mann lassen sie unversehrt).

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Alles Passanten? Nee, reingelegt, das sind Komparsen – menschliche Requisiten.

Ich leide ein bisschen mit den Straßenabsperrern mit, bevor ich mich dann doch wieder auf den Weg mache. Gerade ist eine kleine Drehpause, ich frage den Straßenabsperrer, ob ich nicht ausnahmsweise durchschlüpfen kann – ja, aber mach schnell – und springe über die Straße. Fotoapparat angesetzt, Stiller erwischt, Freude.

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Ein paar Stunden und Googleklicks später erfahre ich auch, was hier los war: Stiller hat mit Kristen Wiig eine Szene für „The Secret Life of Walter Mitty“ gedreht, einen Film, der im Dezember in die US-Kinos kommt. Den schaue ich mir an. Und wenn ich eine über die Straßen hüpfende Frau mit breitem Grinsen entdecke – hm, könnte dann ich sein.

Let’s talk New Yorkish

So war das ja geplant: In New York leben, ein wenig von hier aus arbeiten, ein paar Touri-Orte abklappern, aber ansonsten von allem inspirieren lassen, was ich so sehe, höre und lese. Immer schön Augen und Ohren offen halten also. Das Roosevelt-Haus habe ich beim Straßenbummel entdeckt, über einen Aushang im Chipped Cup Café bin ich kürzlich auf einen wunderbaren Harlemfilm gestoßen. Und auf die Frage, wie New Yorker eigentlich so sprechen, bin ich in der Times gestoßen. „If these knishes could talk“ heißt ein neuer Film, den Weiterlesen

Barbratag

IMG_1012Leser meines Heimatblogs „Rooky“ wissen: Ich hab was vor am 12. Juni. Zum ersten Mal werde ich Barbra Streisand erleben, live, in der Kölner Lanxess Arena. Ein großes Geschenk an mich selbst – und eines der Dinge, auf die ich mich freuen kann, wenn diese Expedition hier, diese wundervolle Reise, vorbei sein wird.

Wenn ich die Stimme von Barbra Streisand höre, denke ich immer sofort an: New York. An Barbras Anfänge in dieser Stadt, an den Broadway,  an „Funny Girl“, an die herrzerreißende Szene mit Robert Redford im Film „The Way we Were“ vor dem Plaza Hotel (ich heule jedes Mal), ach, alles an Barbra ist so…New York. Gut, jetzt hat sie schon seit Jahren, soweit ich informiert bin, ein schickes Haus in Malibu (oder auch zwei oder drei?), nun denn. Aber es ist doch so: You can get a girl ouf of New York, but you can never get New York out of a girl, wenn ich das mal so unverblümt behaupten darf.

Und Barbra selbst, die aus Brooklyn stammt, hat wohl kürzlich gesagt: „Brooklyn to me means the Loew’s Kings, Erasmus, the yeshiva I went to, the Dodgers, Prospect Park, great Chinese food. I’m so glad I came from Brooklyn — it’s down to earth.”

Ich wäre ein schlechter Fan, nicht wenigstens einmal dorthin zu fahren, wo Barbra ihre ersten Schrittchen gemacht hat.

Also dann, heute: Brooklyn. Und zwar: Barbras Brooklyn.

Ich spicke vorab ein bisschen im Internet. Und bin erstaunt: Weiterlesen

Wie Rizinusöl

Wie schaffen wir es, authentisch und tiefgreifend Geschichten zu erzählen – in der heutigen 140-Zeichen-Welt?, fragten sich gestern Abend einige Autoren und Redakteure in der New Yorker KGB-Bar. Und: Wie lässt sich mit Schreiben heute Geld verdienen?

IMG_3348In der schummrigen Location im East Village, die sich seit ihrer Gründung 1993 zu einem Treffpunkt der New Yorker Literaturszene entwickelt hat, finden nahezu jeden Abend Veranstaltungen für Schreiber statt, Lesungen oder eben auch Panel-Diskussionen. Und bei der gestrigen wurde mir klar: Amerikanische Autoren und Journalisten treiben die gleichen Themen um wie die deutschen. Warum auch nicht: Die Rahmenbedingungen, sowohl die Probleme, als auch die Chancen, sind ja die gleichen, weil global. Finanz- und Medienkrise. Social Media. Self-Publishing. Die unsichere Zukunft des gedruckten Worts.

Die meisten der Diskussionsteilnehmer haben sich vor einigen Jahren selbstständig gemacht. Haben einen Weiterlesen

Hello Mr President

IMG_3323Was ich besonders an New York liebe, ist seine überwältigende Fähigkeit, mich immer wieder zu überraschen. Mein Plan ist heute eigentlich, die Gegend rund um den Gramercy Park zu erkunden, und so ein bisserl auch den Union Square. Aber während ich so durch die Straßen laufe, mit einem gesunden und leckeren Smoothie in der Hand und der Welt im Reinen, fällt mir ein düsteres Backsteinhaus am Rand auf. Es quetscht sich fast schüchtern in die Häuserwand der zwanzigsten Straße. Eine Messingtafel. Nanu?

Theodore Roosevelts Birthplace! Nee, ne?! Hier? Aber na klar, irgendwo muss der Bursche ja zur Welt gekommen sein, warum also nicht hier in New York, um die Ecke vom Gramercy Park.

Ich nähere mich vorsichtig dem Eingang im Souterrain, stehe vor einer alten, schweren Tür, drücke die Klinke – Weiterlesen

Halleluja

Es ist nicht so einfach, einen schönen, authentischen, mitreißenden Gottesdienst in Harlem zu finden, der nicht schon von zahlreichen Touristen bevölkert ist. Die ihre Fotoapparate zücken, ihre Handys oder – gute Güte! – ipad-Bretter in die Luft halten (ich weiß schon heute: wenn wir in dreißig Jahren Bilder von fotografierenden ipad-Menschen sehen, wie sie ihre unförmigen Platten in die Luft halten und ungelenk darauf rumdrücken, dann werden wir genauso lachen wie heute über 80-er-Schulterpolster und Jon-Bon-Jovi-Dauerwellen. Ich sag ja nur so…).

Sie kommen in ganzen Gruppen, hab ich gelesen. Touristenbüros haben sich darauf spezialisiert, Besucher im Rahmen von Gospel-Touren zu den Gottesdiensten zu schippern. In Bussen. Ich weiß, ich weiß, ich bin selber ein Tourist, habe selber einen Fotoapparat in der Tasche. Aber ich wünsche mir dennoch einen heimeligen, einen unbescholtenen Gottesdienst. Ich bin auch ganz ruhig, mache mich ganz klein. Versprochen.

Die erste Kirche, an der ich heute, am Sonntag Morgen, es ist Muttertag, vorbeilaufe, ist schon vom Touri-Pestizid befallen. Da steht er, Weiterlesen

Midtown-Memories

IMG_3220 - KopieEs mag das Chrysler Building sein, das urpötzlich meinen Erinnerungsflash auslöst. Dieses wunderschöne, hellgraue Backsteingebäude mit seiner schuppig wirkenden stählernen Spitze.

Täglich war ich damals daran vorbei gelaufen, vor vielen vielen Jahren, als ich schon einmal, das erste Mal, hier war, in dieser Stadt. Ich überlege: Und wenn ich nun…? Einfach mal so…? Auf den Spuren von damals…? Jawohl. Komm, hast eh nicht viel mehr vor heute, sag ich zu mir, es ist Samstagnachmittag, es ist trübes Wetter, lass Dich treiben von Deinen Midtown-Memories. Weiterlesen

Großer Bahnhof

Das Schönste ist natürlich die Decke. Smaragdgrün wölbt sie sich über die große Halle, wie ein Himmelszelt, hoch, weit, herrschaftlich. Ich fühle mich sofort geborgen und sicher, aber nicht eingekesselt. Und diese Farbe – wie ein schillernd-schimmernder Bezug einer eleganten Chaiselounge.

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Ich stehe im Grand Central Terminal, dem größten Bahnhof New Yorks, der dieses Jahr seinen hundertjährigen Geburstag feiert – und von dem aus täglich 700 Züge Städte in den umliegenden Boroughs und Bundesstaaten ansteuern. Albany etwa, draußen im weiten, weiten Reststaat New York, oder auch (Ally McBeal lässt grüßen) Poughkeepsie (süß, nicht?).

Die wirklich großen Strecken, etwa in den Süden nach New Orleans oder gar quer übers ganze Land an die Westküste, die bedienen heute Amtrak-Züge von der Penn Station aus. Vom Grand Central dagegen fahren nur noch Pendlerzüge und U-Bahnen. Das war nicht immer so. Weiterlesen

Auf die Spitze getrieben

Ich mach mich nochmal auf den Weg. Das ist ja alles nichts hier, dieses Melodramatische, diese Abschiedswehmut. Ich brauch Bilder, Eindrücke, kurz: Ablenkung. Und hallo, ich bin in der besten Stadt dafür!

Im Internet lese ich: Die haben dem Freedom Tower, dem Turm, den sie anstelle des World Trade Centers errichten und der auch ein wenig den Triumph über die Katastrophe darstellen soll („wir und unsere liberalen Überzeugungen, wie lassen uns nicht unterkriegen“), dem jedenfalls haben sie heute die Spitze aufgesetzt. Schon letzte Woche haben sie den letzten Stahlträger hochgebockt, Barack Obama hatte ihn zuvor signiert, heute also das letzte Krönchen. Also hin.

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Warm ist’s, als ich aus der Subway aussteige. Schwül und drückend. Ich schaue nach oben. Aha, das ist er, der Tower. Imposant. Und nun, die Spitze?? Weiterlesen

Sie ist weg. Weg. Und ich bin wieder allein, allein.

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Ach, Sunny, was soll ich sagen: Du fehlst mir. Eben warst Du noch hier, wir haben gefrühstückt – und schwupps steigst Du in den blauen Supershuttle-Bus und bist auf dem Weg zum Newark-Flughafen.

Und ich hocke hier und fühle mich seltsam amputiert. Ich gehe zurück ins Apartment, suche endlich mal die ganze Dreckwäsche für die Laundry um die Ecke zusammen, schmeiße die mittlerweile verblühte Sonnenblume weg, die ich Dir noch zum Empfang hingestellt hatte, und spüle unsere letzten zwei Kaffeetassen. Fast meine ich, Weiterlesen

Kämpfernaturen

Und weil wir schon mal bei interessanten Hintergrundinfos über New York sind: Das Museum zeigt derzeit noch eine weitere Ausstellung, eine, die das ausdrückt, was jeder insgeheim ahnt: New Yorker sind Kämpfer. Immer schon gewesen, und auch heute noch.

LOU_7590Diese Energie in der Bevölkerung, für soziale Veränderungen einzutreten, stammt laut den Kuratoren noch aus den Anfängen der Stadt, als Weiterlesen

Platz da!

Wie lebt man eigentlich so in New York? Wo Platz knapp ist, die Mieten hoch, der Kampf um Wohnungen immens? Das Museum of the City of New York widmet dem Thema gerade eine kleine Ausstellung: „Making Room: New Models for Housing New Yorkers.“

Eines ist schon jetzt absehbar: New York platzt aus allen Nähten. Weiterlesen

Im Osten

Ja, ich habe ein Faible für Viertel, die sich in irgendeiner Form entwickeln, wo der Kessel dampft, die Suppe brodelt. Harlem finde ich spannend, Red Hook fand ich interessant. Und dass ich mir das East Village mal angucken will, liegt nur auf der Hand.

Auf den Straßen tummeln sich Weiterlesen

Blick nach drüben

Ne ganze Weile haben wir uns in Coney Island (auf Coney Island?)  durchpusten lassen, jetzt geht’s zurück Richtung Manhattan. Und weil wir schon mal in der Nähe sind, machen wir einen erneuten Stopp in Brooklyn, diesmal an der Brooklyn Heights Promenade. Schon oft fotografiert, schon oft gesehen, im Fernsehen und anderswo. Aber immer noch wunderschön: der Blick auf die Skyline von Manhattan.

Die Promenade…

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Und der Blick:

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Und nein. Was Schöneres gibt es kaum.

Meeresbrise

IMG_2566Wir verlassen Red Hook mit der Subway. Mit der Linie F, der „Culver Line“, geht es Richtung Südosten, ans….Meer!

Glaubt man ja kaum: Dass diese Megastadt, diese Metropole, dann sagen wir es eben: dieser Moloch – am Ozean liegt. Zumindest einige Teile davon. Sicher, bis nach Coney Island ist es je nach Ausgangspunkt eine gute halbe Stunde Fahrt. Aber hey, dafür braust einem dann der Atlantik entgegen!

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Bekannt ist Coney Island vor allem für seinen Boardwalk und seinen alten, heute bereits etwas nostalgisch verblassten Vergnügungspark. Und dafür hier:

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Nathans. Und seinen angeblich (und ich habe es getestet und kann sagen: auf jeden Fall) besten New Yorker Hot Dog.

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Bei Nathan’s ist schwer was los.

Auch das passt zu der nostalgischen Atmosphäre von Coney Island: ein fast wehmütig anmutender Eiscreme- und Zuckerwatteladen. Das Eis? Perfekt!
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Etwas weiter südlich verkauft ein Händler Vögel. Die Kinder lieben es und spielen mit den Tieren. Der Papagei indes…

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…nimmt’s relativ gelassen.

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Buntes Vergnügen vor tristen Sozialbauten:

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Am roten Haken

…Wer nun direkt mit der IKEA-Fähre wieder in Richtung Manhattan zurückfahren (oder auf ein paar Kötbullar im Möbelhaus vorbeischauen) will, kann das tun. Sunny und ich aber haben noch andere Ziele heute.

Zunächst mal: Red Hook. Das ist eine Ecke Brooklyns, die sich gerade mausert: Lange Zeit ein verdrecktes, nach Angaben mancher auch gefährliches Hafenviertel, ziehen derzeit immer mehr alternativ ausgerichtete Leute her, schaffen sich hier ein Heim. Und klar: da lassen Galerien, Geschäfte mit Kunstgewerbe – und auch Restaurants nicht lange auf sich warten.

Wollen wir doch mal gucken:

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Und hier werfen wir den Anker aus: Bei Brooklyn Crab gibts lecker Seafood, Clam Chowder und Sandwiches.

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Und ja, den Blick auf die Freiheitsstatue (ein bisschen recken und strecken, blinzeln, und dann erblicken wir sie) gibt’s vom Restaurantdeck aus gratis dazu:

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Brooklyn Crab
24 Reed Street (Red Hook, Brooklyn)
Montag und Dienstag geschlossen
http://brooklyncrab.com

Bei Billy, Klippan, Ingo und Lack

Gelb ist sie ja schon mal, denke ich so, als ich am Pier stehe und die Fähre ankommen sehe. Sunny und ich begeben uns heute aufs Wasser, nutzen aalglatt den Kundenservice eines schwedischen Möbelhauses (das es bereits nach Amerika geschafft hat) und hoppen mit dem New Yorker Water Taxi rüber nach Brooklyn. Sponsored by IKEA.

Mehrmals am Tag legt am Pier 11, unten am Hafen von Manhattan, die IKEA-Fähre ab. In der Woche kostet die Überfahrt ein paar Dollar, am Wochenende aber ist eine Fahrt gratis. Die Reise geht vorbei an der Freiheitsstatue, an Governors Island bis rüber an die Ecke Brooklyns, wo IKEA ein großes Warenhaus errichtet hat.

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Das machen wir doch mit, ist doch klar. Tatsächlich, das wird offenbar, nutzen viele das Schiffchen, um wirklich bei IKEA Erledigungen zu machen. Eine will augenscheinlich eine Vorhangstange umtauschen. Andere, die gerade die ankommende Fähre verlassen, sind bepackt mit den altbekannten dunkelblauen Plastiktüten.

Die Überfahrt ist Urlaub pur. Die Sonne strahlt, der Wind weht, Möwen kreischen. An uns zieht die Skyline von Lower Manhattan vorbei, später die Freiheitsstatue und Governor’s Island.IMG_2434

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Nach etwa 20 Minuten ist Schluss, wir erreichen IKEA-Land.

Mehr Infos zum IKEA-Watertaxi (und den Fahrplan) gibt’s hier.

Schwester S

IMG_2395 - KopieAb heute ist Sunny da. Sunny (die eigentlich anders heißt) ist meine Schwester, und sie hat sich entschlossen, mich eine Woche lang in New York zu besuchen. Dass sie selbst Harlem als Domizil nicht abschreckt, zeigt: Sie ist ne ganz Toughe. Oder vertraut einfach nur ihrer Schwester. Wird sich zeigen, ob das so schlau ist. Ich jedenfalls freu mich. Welcome, Sister S!

Umzug

So war es ja geplant: Nach zwei Tagen in Midtown Manhattan sollte ich nun heute mein neues, mein Langzeit-Quartier beziehen. In: Harlem.

„WAS?“, riefen die meisten aus, wenn ich ihnen von meiner geplanten Location erzählte. „In Harlem? Warum nicht gleich die Bronx?“

Okay, ich halte fest: Harlem hat keinen guten Ruf. Nicht unter den Deutschen, auf deren Urteil ich nun aber nicht unbedingt viel gebe (haben DIE recherchiert oder ICH?); aber auch nicht unter den Amerikanern, denen ich eher zutraue, die aktuelle Entwicklung in Harlem zu kennen. Die nämlich lässt sich mit einem Wort beschreiben: G.e.n.t.r.i.f.i.z.i.e.r.u.n.g.  Ja, auch hier. Nicht also nur im Frankfurter Ostend, wo langsam die Alteingesessenen vertrieben werden. Nicht nur im Nordend, wo sie schon lange im Gange ist – aber auch hier heute noch die nettesten Leute aus meinem Wohnhaus prügelt. Nicht nur im Prenzlauer Berg, wo sie vermutlich herkommt. Also auch in Harlem.

Es ist das erste Mal (und es schüttelt mich dabei), dass dieser Begriff für mich einen positiven Anstrich hat. Harlem ist hip und the new place to be, weil (oder indem? oder weshalb?) es langsam gentrifiziert wird, höre ich. Auch: sehenswert. Und vor allem: sicher. Indem ein ganzes Stadtviertel verändert wird, vermutlich alte Traditionen, alte Geschäfte, alte Beziehungen zerstört werden, wird es für mich zu einer möglichen Anlaufstelle. Ein zweifelhafter Vorteil. Aber im Moment klingt Gentrifizierung für mich wie „abends sicher nach Hause kommen“.

Okay, gesagt, gebucht. Und erst mal einen kleinen Schock bekommen. Mein erster Spaziergang heute führte mich den Broadway entlang, der ja (wie manche glauben), nicht nur durch das mittlere Manhattan verläuft und dort durch die Theaterwelt berühmt wurde – sondern eben auch hier, uptown, in Harlem.

Statt Musicalschuppen reihen sich hier, so rund um die 145igste Straße aber Billigläden an Billigläden, häufen sich Barbier-Buden, unaufgeräumte Delis und Take-Aways mit vorrangig dominikanischem Essen. Die Hauptsprache auf der Straße und in den Geschäften: spanisch. Die Menschen schauen mich an wie ein Wesen von einem anderen Stern. Aber blöde Anmachen? Nö, nicht wirklich. Einer wünscht mir im Vorbeigehen einen „beautiful day, georgous!“ – und ich nehme es, wie er es sagt.

Ein wenig zweifele ich an meiner Entscheidung, mich hier eingebucht zu haben. Für vier Wochen immerhin. Wie soll das meine kleine zweite Heimat werden? Wie soll ich mich hier wohlfühlen?

Mir hilft, dass ich das mache, was jeder tut, wenn er neu ankommt: einkaufen. Muss ja. Instant-Kaffee und Milch (das wichtigste), Wasser (ja genau, das zweitwichtigste für Kaffeetrinker), etwas Obst, Kekse, eine kleine Tulpe (das Auge lebt mit). Und während ich so etwas alltägliches in diesem für mich so unalltäglichen Ort erledige – Mangos betaste, ob sie reif genug sind, die Kaffeepreise vergleiche, an Blumen rieche – während ich also dies alles tue, merke ich, wie nett die Leute sind. Nicht nur die Ladeninhaber, die mich hilfsbereit durch die schier nicht enden wollenden Gewindungen ihrer kleinen Geschäfte führen, sondern auch die anderen Kunden. Wie sie miteinander sprechen, sich begrüßen, ihre Kinder zu sich rufen. Hier herrscht…noch fehlt mir das richtige Wort…Herzlichkeit? Ja, so etwas in der Art. Vielleicht ein bisschen rauhbeinig. Aber doch, liebevoll.

Hey, könnte ich es hier etwa…gut haben?